Fortschritt oder Rückschritt?
Änderungen der Zuchtverbandsordnung
Kein ungeprüfter Hengst soll in den Deckeinsatz gelangen: Dieses Postulat steht zur Disposition - in der Praxis wird es längst immer wieder umgangen
Bereits Ende Oktober 2018 ging unsere Redaktion der Frage um geplante Änderungen bei der Registrierung der Fohlen und der Hengstleistungsprüfung nach. Auf Nachfrage wurde sowohl von den angesprochenen Verbänden als auch der FN eher ausweichend reagiert, aktuelle Beschlüsse bestünden nicht. Wenige Wochen später konnten wir als anwesende Berichterstatter miterleben, wie die Delegierten eines bedeutenden, norddeutschen Zuchtverbandes von deren Zuchtleiter ganz offiziell über eben genau jene geplanten Veränderungen informiert wurden, die unserer Redaktion gegenüber noch kurz zuvor niemand bestätigen mochte. Im Heft 1, S. 20, haben wir uns im Anschluss mit genau dieser Thematik beschäftigt und haben auch um eine Stellungnahme der FN gebeten, die seinerzeit erfolgte: „Unter dem Dach der FN werden immer wieder Gespräche und Diskussionen zur Zukunft der deutschen Pferde- und Ponyzucht geführt. Zurzeit denken die FN-Mitgliedszuchtverbände tatsächlich über mögliche Veränderungen in der Zuchtbuchstruktur nach. Viele Gedanken dazu sind auch schon ausgetauscht worden, aber viele Detailfragen sind noch nicht geklärt. Eine neue Konzeption der Zuchtbuchstruktur bringt Veränderungen mit sich und die daraus entstehenden Konsequenzen müssen intensiv geprüft werden. In der letzten Sitzung mit den Zuchtverbänden bestand der Konsens, an solchen Überlegungen weiterzuarbeiten. Es sind aber noch keine Veränderungen im Zuchtprogramm beschlossen worden. Der Prozess ist somit noch im Gang und für weitere Ideen offen. Aus dem Grund können auch noch keine detaillierten Informationen bekannt gegeben werden."Soweit die Stellungnahme im Dezember 2018. Nun, im Vorfeld der geplanten FN-Tagung am 5./6. Mai 2019, bestätigen sich zunehmend genau diese von uns kommunizierten geplanten Änderungen, die man in den vergangenen Monaten immer wieder eher ausweichend nicht bestätigen mochte. Zukünftig würden dann auch die Nachkommen von Hengstbuch-II-Hengsten in der Anpaarung mit Stutbuch-I- und Stutbuch-Il-Stuten ebenfalls einen vollen Abstammungsnachweis erhalten, so eine aktuelle Pressemitteilung. Die FN weist darin am 27. März 2019 darauf hin, dass der Diskussionsprozess zu dieser Frage noch nicht ab-geschlossen sei. Es mag dabei ein Zufall sein, dass die Pressemitteilung nach Monaten des relativen Schweigens ganze 48 Stunden nach der Bitte unserer Redaktion um Stellungnahme erfolgte. Tatsache ist jedoch, dass einzelne Hengsthalter sehr wohl bereits jetzt in der Vermarktung ihrer bislang ungeprüften und teilweise gar ungekörten Hengste genau mit dieser geplanten Änderung argumentieren, ganz nach dem Motto, Körung oder HLP fehlen - egal, was soll passieren? Es bekommen ab 2020 eh alle Fohlen volle Papiere! Es mag auch nicht ganz zusammenpassen, dass in der Pressemeldung der FN vom 27. März zur Begründung der veränderten Richtlinien zur Registrierung der Fohlen allein auf die Eröffnung sportlicher Privilegien (BC- und Teilnahme an den WM) verwiesen wird.
Es bleibt der Fakt, dass in der eingangs beschriebenen Informationsrunde im hohen Norden Deutschlands die geplanten Änderungen gegenüber den dortigen Verbandsdelegierten eben auch mit der Problematik zahlenmäßig starker Fohlenjahrgänge, deren Väter keinen ausreichenden Leistungsnachweis erbracht haben, begründet wurden. Diese Aussage fiel im Dezember nur wenige Wochen nach einer sehr unglücklichen HLP in der Tschechischen Republik, die genau einen solchen Fall bereinigen sollte. Es wird in der Pressemitteilung darauf verwiesen, dass - so wörtlich - „die meisten Verbände aber weiterhin an den züchterischen Vorgaben für die Eintragung in das Hengstbuch I und Stutbuch I festhalten, beispielsweise was die Kör- und Eintragungsfähigkeit von Junghengsten betrifft. Die Bedeutung der Körungen soll uneingeschränkt erhalten bleiben." Es erscheint allerdings schwer vorstellbar, dass ein Aufweichen der bisherigen Vorgaben zur HLP und der Registrierung der Fohlen nicht auch langfristig zu einem weiteren Bedeutungsverlust der Selektionsstufen besonders von Hengstleistungsprüfungen führen könnte.
Man stelle sich einmal eine Änderung in der Bildungspolitik vor, die die Abiturnoten abschaffen wollte und dem Abitur einen vergleichenden Charakter zuspräche - was würde dies wohl für den Wert des Abschlusses bedeuten? Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich zunehmend Züchter die Frage stellen könnten, warum sie die aufwändigen Verbandsstrukturen der deutschen Pferdezucht sowohl finanziell als auch mit (Wo-)Manpower weiterhin unterstützen sollen, wo doch so zentrale Punkte leistungsorientierter Zuchtauswahl wie etwa die Hengstleistungsprüfung immer weiter aufgeweicht werden und zunehmend entbehrlich erscheinen. Die uns im Rahmen unserer Recherche von Entscheidungsträgern der Zucht gestellte Frage, warum sich denn ein ungeprüfter Hengst schlechter vererben solle als ein geprüfter, regt da hinsichtlich der Wertschätzung einer Hengstleistungsprüfung sicherlich zum Nachdenken an. In dem Zusammenhang mutet auch die Aussage der Pressemitteilung vom 27. März etwas befremdlich an, in der es heißt: „Hintergrund der Überlegungen ist ein veränderter Zeitgeist und ein damit einhergehendes verändertes Verhalten der Züchter. Sie fordern von den Zuchtverbänden mehr Liberalität. Wird ein Verband ihren Wünschen nicht gerecht, wandern sie zum nächsten ab, teilweise sogar auch ins Ausland. Das kann nicht in unserem Sinne sein." Diese Auffassung scheint den Schluss nahezulegen, Züchter verließen ihre Verbände auch, weil sie einen Hengst nicht nutzen könnten, der keinen HB-I-Eintrag besäße. Ob und wenn ja, auf welcher empirisch generierten Datengrundlage diese Aussage beruht, bleibt zunächst offen. Die Gründe für einen Verbandswechsel mögen sicher vielfältig sein, oftmals werden von den so agierenden Züchtern jedoch eher andere Gründe benannt: mangelnde Rentabilität, mangelnde Transparenz, wenig respektvoller Umgang. Und vor allem fühlen sich immer mehr Züchter immer öfter nicht ausreichend einbezogen in die verbandsinternen Entscheidungsprozesse. Auch in diesen Entscheidungsprozess sind die Züchter und Verbandsmitglieder bisher nicht einbezogen worden.
Jetzt sollen in den wenigen verbleibenden Tagen bis zur FN-Tagung im Mai die notwendigen Autorisierungen in den Verbandsgremien für die Änderungen erwirkt werden. Dabei wäre es sicherlich nicht unwichtig gewesen, die Mitglieder und Züchter bei einer derartig bedeutenden Neuerung mehr einzubinden, um sie im Entscheidungsprozess mitnehmen zu können, aber auch um die Fragestellung unter möglichst differenzierten Gesichtspunkten zu bewerten. Der Zuchtleiter des Trakehner Verbandes, Lars Gehrmann, sieht indes keinerlei Grundlage für Befürchtungen. Gehrmann hat als einziger, von uns um Stellungnahme gebetener Zuchtleiter überhaupt reagiert und erklärt, grundsätzlich solle am bestehenden Selektionssystem festgehalten werden, die ge-planten Änderungen sollten lediglich einzelne Freiräume für Individualisten öffnen, um ihnen die Möglichkeit zu bieten, ihre züchterischen Ideen zukünftig innerhalb der eigenen Verbände zu pflegen. Die Verbände hätten auch weiterhin die Möglichkeit, eigene Selektionshürden aufrechtzuerhalten, und er verweist für den Trakehner Verband unter anderem auf das Reinzuchtprinzip, das in der Verbandssatzung verankert sei.
In der FN-Pressemitteilung erfolgt auch ein Hinweis auf eine nicht näher beschriebene Masterarbeit ohne Quellenagabe zum Thema HLP: „Eine aktuelle Masterarbeit hat gezeigt, dass der Großteil der Züchter die Hengste mit den besten Ergebnissen in der HLP für ihre Stuten auswählt. Ein Verzicht auf die gemeinsame Mindestnote wird daher voraussichtlich kaum Veränderungen bringen. Die Zuchtverbände sind mehrheitlich davon überzeugt, dass man lieber die besten Hengste besonders herausstellen sollte, als sich umfangreich mit denen zu befassen, die die Mindestnote gerade eben erreicht haben oder knapp darunter bleiben. Grundsätzlich basiert jede Art gezielter Tierzucht auf der Auswahl der Besten." Diese Formulierung weist zumindest auf einen Punkt ganz deutlich hin: Wenn die Züchter und Verbandsmitglieder auch nicht in die hier vorangegangenen Entscheidungsprozesse eingebunden waren, so haben die Züchter unverändert ein machtvolles Instrument in ihren Händen - die züchterische Entscheidung! Zukünftig dürfte eine umfassende Auseinandersetzung mit der Frage „Welcher Hengst für meine Stute?" noch intensiver erfolgen müssen. Es kann sich kein Züchter mehr auf Eindrücke und Bewertungen Dritter verlassen, er ist aufgefordert, sich seine eigenen Eindrücke zu verschaffen. Dabei sollte auch die Frage nach den eigenen Selektionskriterien selbstkritisch nicht vermieden werden. Ist es zielführend, wenn oftmals die Anzahl von Likes, die ein Videoschnipsel eines Dreijährigen auf Facebook erhält, zum Selektionskriterium mutiert? Reichen die Eindrücke der üblichen Hengstpräsentationen aus, bei denen man sich teilweise in das Filmset von „The Electric Horseman" versetzt fühlt, wenn vollilluminierte, vierbeinige Protagonisten im Stechtrab durch das Hallenrund eilen, dass es jedem Vorstadtzirkus zur Ehre gereichen würde? Ist ein spektakulärer Auktionserlös allein ein derart belastbares Selektionskriterium, dass ein Junghengst ohne Leistungsnachweis umfangreiche Fohlenjahrgänge produzieren sollte? Ungeprüfte Hengste, Hengste ohne Körprädikat produzieren nur dann Fohlen, wenn Züchter sie nutzen. Somit hat jeder Züchter es in der Hand, durch sein Nutzungsverhalten, seine züchterische Entscheidung direkten Einfluss auf zuchtpolitische Entscheidungsprozesse zu nehmen. Ob er unter den hier beschriebenen Vorzeichen, sollten sie wie geplant umgesetzt werden, da noch dauerhaft die persönliche Einbindung in klassische Verbandsstrukturen benötigt, wird sich zukünftig zeigen.
Änderungen der Zuchtverbandsordnung
Kein ungeprüfter Hengst soll in den Deckeinsatz gelangen: Dieses Postulat steht zur Disposition - in der Praxis wird es längst immer wieder umgangen
Bereits Ende Oktober 2018 ging unsere Redaktion der Frage um geplante Änderungen bei der Registrierung der Fohlen und der Hengstleistungsprüfung nach. Auf Nachfrage wurde sowohl von den angesprochenen Verbänden als auch der FN eher ausweichend reagiert, aktuelle Beschlüsse bestünden nicht. Wenige Wochen später konnten wir als anwesende Berichterstatter miterleben, wie die Delegierten eines bedeutenden, norddeutschen Zuchtverbandes von deren Zuchtleiter ganz offiziell über eben genau jene geplanten Veränderungen informiert wurden, die unserer Redaktion gegenüber noch kurz zuvor niemand bestätigen mochte. Im Heft 1, S. 20, haben wir uns im Anschluss mit genau dieser Thematik beschäftigt und haben auch um eine Stellungnahme der FN gebeten, die seinerzeit erfolgte: „Unter dem Dach der FN werden immer wieder Gespräche und Diskussionen zur Zukunft der deutschen Pferde- und Ponyzucht geführt. Zurzeit denken die FN-Mitgliedszuchtverbände tatsächlich über mögliche Veränderungen in der Zuchtbuchstruktur nach. Viele Gedanken dazu sind auch schon ausgetauscht worden, aber viele Detailfragen sind noch nicht geklärt. Eine neue Konzeption der Zuchtbuchstruktur bringt Veränderungen mit sich und die daraus entstehenden Konsequenzen müssen intensiv geprüft werden. In der letzten Sitzung mit den Zuchtverbänden bestand der Konsens, an solchen Überlegungen weiterzuarbeiten. Es sind aber noch keine Veränderungen im Zuchtprogramm beschlossen worden. Der Prozess ist somit noch im Gang und für weitere Ideen offen. Aus dem Grund können auch noch keine detaillierten Informationen bekannt gegeben werden."Soweit die Stellungnahme im Dezember 2018. Nun, im Vorfeld der geplanten FN-Tagung am 5./6. Mai 2019, bestätigen sich zunehmend genau diese von uns kommunizierten geplanten Änderungen, die man in den vergangenen Monaten immer wieder eher ausweichend nicht bestätigen mochte. Zukünftig würden dann auch die Nachkommen von Hengstbuch-II-Hengsten in der Anpaarung mit Stutbuch-I- und Stutbuch-Il-Stuten ebenfalls einen vollen Abstammungsnachweis erhalten, so eine aktuelle Pressemitteilung. Die FN weist darin am 27. März 2019 darauf hin, dass der Diskussionsprozess zu dieser Frage noch nicht ab-geschlossen sei. Es mag dabei ein Zufall sein, dass die Pressemitteilung nach Monaten des relativen Schweigens ganze 48 Stunden nach der Bitte unserer Redaktion um Stellungnahme erfolgte. Tatsache ist jedoch, dass einzelne Hengsthalter sehr wohl bereits jetzt in der Vermarktung ihrer bislang ungeprüften und teilweise gar ungekörten Hengste genau mit dieser geplanten Änderung argumentieren, ganz nach dem Motto, Körung oder HLP fehlen - egal, was soll passieren? Es bekommen ab 2020 eh alle Fohlen volle Papiere! Es mag auch nicht ganz zusammenpassen, dass in der Pressemeldung der FN vom 27. März zur Begründung der veränderten Richtlinien zur Registrierung der Fohlen allein auf die Eröffnung sportlicher Privilegien (BC- und Teilnahme an den WM) verwiesen wird.
Es bleibt der Fakt, dass in der eingangs beschriebenen Informationsrunde im hohen Norden Deutschlands die geplanten Änderungen gegenüber den dortigen Verbandsdelegierten eben auch mit der Problematik zahlenmäßig starker Fohlenjahrgänge, deren Väter keinen ausreichenden Leistungsnachweis erbracht haben, begründet wurden. Diese Aussage fiel im Dezember nur wenige Wochen nach einer sehr unglücklichen HLP in der Tschechischen Republik, die genau einen solchen Fall bereinigen sollte. Es wird in der Pressemitteilung darauf verwiesen, dass - so wörtlich - „die meisten Verbände aber weiterhin an den züchterischen Vorgaben für die Eintragung in das Hengstbuch I und Stutbuch I festhalten, beispielsweise was die Kör- und Eintragungsfähigkeit von Junghengsten betrifft. Die Bedeutung der Körungen soll uneingeschränkt erhalten bleiben." Es erscheint allerdings schwer vorstellbar, dass ein Aufweichen der bisherigen Vorgaben zur HLP und der Registrierung der Fohlen nicht auch langfristig zu einem weiteren Bedeutungsverlust der Selektionsstufen besonders von Hengstleistungsprüfungen führen könnte.
Man stelle sich einmal eine Änderung in der Bildungspolitik vor, die die Abiturnoten abschaffen wollte und dem Abitur einen vergleichenden Charakter zuspräche - was würde dies wohl für den Wert des Abschlusses bedeuten? Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich zunehmend Züchter die Frage stellen könnten, warum sie die aufwändigen Verbandsstrukturen der deutschen Pferdezucht sowohl finanziell als auch mit (Wo-)Manpower weiterhin unterstützen sollen, wo doch so zentrale Punkte leistungsorientierter Zuchtauswahl wie etwa die Hengstleistungsprüfung immer weiter aufgeweicht werden und zunehmend entbehrlich erscheinen. Die uns im Rahmen unserer Recherche von Entscheidungsträgern der Zucht gestellte Frage, warum sich denn ein ungeprüfter Hengst schlechter vererben solle als ein geprüfter, regt da hinsichtlich der Wertschätzung einer Hengstleistungsprüfung sicherlich zum Nachdenken an. In dem Zusammenhang mutet auch die Aussage der Pressemitteilung vom 27. März etwas befremdlich an, in der es heißt: „Hintergrund der Überlegungen ist ein veränderter Zeitgeist und ein damit einhergehendes verändertes Verhalten der Züchter. Sie fordern von den Zuchtverbänden mehr Liberalität. Wird ein Verband ihren Wünschen nicht gerecht, wandern sie zum nächsten ab, teilweise sogar auch ins Ausland. Das kann nicht in unserem Sinne sein." Diese Auffassung scheint den Schluss nahezulegen, Züchter verließen ihre Verbände auch, weil sie einen Hengst nicht nutzen könnten, der keinen HB-I-Eintrag besäße. Ob und wenn ja, auf welcher empirisch generierten Datengrundlage diese Aussage beruht, bleibt zunächst offen. Die Gründe für einen Verbandswechsel mögen sicher vielfältig sein, oftmals werden von den so agierenden Züchtern jedoch eher andere Gründe benannt: mangelnde Rentabilität, mangelnde Transparenz, wenig respektvoller Umgang. Und vor allem fühlen sich immer mehr Züchter immer öfter nicht ausreichend einbezogen in die verbandsinternen Entscheidungsprozesse. Auch in diesen Entscheidungsprozess sind die Züchter und Verbandsmitglieder bisher nicht einbezogen worden.
Jetzt sollen in den wenigen verbleibenden Tagen bis zur FN-Tagung im Mai die notwendigen Autorisierungen in den Verbandsgremien für die Änderungen erwirkt werden. Dabei wäre es sicherlich nicht unwichtig gewesen, die Mitglieder und Züchter bei einer derartig bedeutenden Neuerung mehr einzubinden, um sie im Entscheidungsprozess mitnehmen zu können, aber auch um die Fragestellung unter möglichst differenzierten Gesichtspunkten zu bewerten. Der Zuchtleiter des Trakehner Verbandes, Lars Gehrmann, sieht indes keinerlei Grundlage für Befürchtungen. Gehrmann hat als einziger, von uns um Stellungnahme gebetener Zuchtleiter überhaupt reagiert und erklärt, grundsätzlich solle am bestehenden Selektionssystem festgehalten werden, die ge-planten Änderungen sollten lediglich einzelne Freiräume für Individualisten öffnen, um ihnen die Möglichkeit zu bieten, ihre züchterischen Ideen zukünftig innerhalb der eigenen Verbände zu pflegen. Die Verbände hätten auch weiterhin die Möglichkeit, eigene Selektionshürden aufrechtzuerhalten, und er verweist für den Trakehner Verband unter anderem auf das Reinzuchtprinzip, das in der Verbandssatzung verankert sei.
In der FN-Pressemitteilung erfolgt auch ein Hinweis auf eine nicht näher beschriebene Masterarbeit ohne Quellenagabe zum Thema HLP: „Eine aktuelle Masterarbeit hat gezeigt, dass der Großteil der Züchter die Hengste mit den besten Ergebnissen in der HLP für ihre Stuten auswählt. Ein Verzicht auf die gemeinsame Mindestnote wird daher voraussichtlich kaum Veränderungen bringen. Die Zuchtverbände sind mehrheitlich davon überzeugt, dass man lieber die besten Hengste besonders herausstellen sollte, als sich umfangreich mit denen zu befassen, die die Mindestnote gerade eben erreicht haben oder knapp darunter bleiben. Grundsätzlich basiert jede Art gezielter Tierzucht auf der Auswahl der Besten." Diese Formulierung weist zumindest auf einen Punkt ganz deutlich hin: Wenn die Züchter und Verbandsmitglieder auch nicht in die hier vorangegangenen Entscheidungsprozesse eingebunden waren, so haben die Züchter unverändert ein machtvolles Instrument in ihren Händen - die züchterische Entscheidung! Zukünftig dürfte eine umfassende Auseinandersetzung mit der Frage „Welcher Hengst für meine Stute?" noch intensiver erfolgen müssen. Es kann sich kein Züchter mehr auf Eindrücke und Bewertungen Dritter verlassen, er ist aufgefordert, sich seine eigenen Eindrücke zu verschaffen. Dabei sollte auch die Frage nach den eigenen Selektionskriterien selbstkritisch nicht vermieden werden. Ist es zielführend, wenn oftmals die Anzahl von Likes, die ein Videoschnipsel eines Dreijährigen auf Facebook erhält, zum Selektionskriterium mutiert? Reichen die Eindrücke der üblichen Hengstpräsentationen aus, bei denen man sich teilweise in das Filmset von „The Electric Horseman" versetzt fühlt, wenn vollilluminierte, vierbeinige Protagonisten im Stechtrab durch das Hallenrund eilen, dass es jedem Vorstadtzirkus zur Ehre gereichen würde? Ist ein spektakulärer Auktionserlös allein ein derart belastbares Selektionskriterium, dass ein Junghengst ohne Leistungsnachweis umfangreiche Fohlenjahrgänge produzieren sollte? Ungeprüfte Hengste, Hengste ohne Körprädikat produzieren nur dann Fohlen, wenn Züchter sie nutzen. Somit hat jeder Züchter es in der Hand, durch sein Nutzungsverhalten, seine züchterische Entscheidung direkten Einfluss auf zuchtpolitische Entscheidungsprozesse zu nehmen. Ob er unter den hier beschriebenen Vorzeichen, sollten sie wie geplant umgesetzt werden, da noch dauerhaft die persönliche Einbindung in klassische Verbandsstrukturen benötigt, wird sich zukünftig zeigen.
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