In diesem Zusammenhang ein höchst interessantes Interview im Landwirtschaftlichen Wochenblatt Westfalen mit Dr. Thomas Nissen aus Mai 2011!!!
Das Interview zeigt, dass die Zuchtverbände schon seit langer Zeit die Probleme kennen, aber seitdem nicht in der Lage oder nicht gewillt waren, sie zu lösen:
Hat Deutschland bei der Zucht von Sportpferden die über Jahrzehnte bestehende Vormachtstellung verloren? Wir sprachen darüber mit
Dr. Thomas Nissen, Zuchtleiter des Holsteiner Verbandes.
Wochenblatt: Bei der Jahrestagung der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) in Trier Anfang Mai haben Sie die Ergebnisse einer aktuellen Beratung des Vorstands Zucht gemeinsam mit dem Vorstand des Vereins deutscher Hengsthalter vorgestellt. Was war der Anlass für die Beratung?
Dr. Nissen: Im vergangenen Jahr hat sich der „Verein deutscher Hengsthalter“ neu formiert. Private Hengsthalter und Vertreter der Landgestüte wollen in dem neuen Zusammenschluss gemeinsam Ideen zur Förderung und Verbesserung der deutschen Pferdezucht umsetzen. Dazu hatte der FN-Vorstand Zucht die Führung des Hengsthaltervereins nach Warendorf eingeladen. Da es bei diesem Treffen vorrangig um Selektion und Leistungsprüfungen ging, war auch die Hengstleistungsprüfung (HLP)-Arbeitsgruppe der Zuchtleiter an diesem Gespräch beteiligt. Die Sitzungsteilnehmer hatten mich gebeten, in Trier zum Thema „Selektion der deutschen Pferdezucht“ zu berichten.
Wochenblatt: Ein Ergebnis der Besprechung war, dass Körungen und Stutenschauen zu Verkaufsveranstaltungen degradiert sind. Können Sie dies näher erläutern?
DR. NIssen: Ein entscheidendes Ergebnis der Sitzung war, dass die Teilnehmer erkannten, dass die deutsche Pferdezucht auf dem Wege ist, die über Jahrzehnte bestehende Vormachtstellung in Bezug auf die Zucht der weltbesten Sportpferde zu verlieren. Bei der Ursachenforschung war man schnell bei einigen „wunden“ Punkten angelangt. Qualitätsverbesserung hat immer mit Selektion zu tun! Die höchste Vermehrungsrate liegt nun mal bei den Hengsten und hier spielt die Körung im Selektionsgeschehen die größte Rolle. Wenn wir uns die deutschen Körplätze ansehen, so hat sich dort ein enormes Marktgeschehen entwickelt. Vermarktung ist wichtig, nur müssen sich die Züchter und die Verbände fragen: Welche Kompromisse dürfen bei der Selektion zu Gunsten des Marktes gemacht werden? Hier haben sich Toleranzen „eingeschlichen“, die heute zu Qualitätsverlusten geführt haben. Der Wettlauf der Zuchtverbände um die Käufergunst und um die Spirale der Spitzenpreise zeigt uns deutliche negative Auswirkungen. Stutenschauen stehen nicht so sehr im Fokus der breiten Öffentlichkeit. Eine Selektion findet durch die Bonitierung bzw. Zuordnung in die unterschiedlichen Abteilungen der Zuchtbücher statt. Richtige Selektionsentscheidungen liegen mehr in den Händen der Züchter, ein Zulassungsverbot gibt es nicht.
Wochenblatt: Das „Hochpuschen“ der dreijährigen Hengste zur Körung ist ohnehin umstritten. Sollte nicht besser ein anderer Zeitpunkt gewählt werden?
Dr. NIssen: Die Frage des richtigen Körzeitpunktes konnte auch in der Sitzung in Warendorf noch nicht beantwortet werden. Es gibt gute Gründe, bei vernünftiger und altersgerechter Vorbereitung den in Deutschland traditionellen Herbsttermin beizubehalten. Die Kollegen aus Oldenburg favorisieren einen Körtermin im Frühjahr mit sich anschließender Veranlagungsprüfung auf Station. Auch dafür gibt es viele gute Argumente, und ein solches Modell würde die „Unart“ des Zuchteinsatzes von ungeprüften Hengsten drastisch einschränken. Entscheidend ist die Konsequenz der Verbände bei der Umsetzung ihrer Zuchtprogramme. Die Zuchtpolitik der Verbände darf nicht durch wirtschaftliche Interessen der Hengsthaltung bestimmt werden. Hochgepuschte Junghengste werden schnell zu „Stars“ gemacht und decken/besamen ungeprüft schon eine hohe Anzahl von Stuten. Entspricht der „wahre Zuchtwert“ später nicht dem „ersten Eindruck“, zahlt der Züchter die Zeche.
Wochenblatt: „Ein positives Körurteil ist der heutigen Zeit keine Frage mehr der Qualität des Hengstes, sondern der Ausdauer des Besitzers“. Was sagen Sie zu diesem Zitat?
Dr. NIssen: Damit sprechen Sie ein weiteres Problem der deutschen Pferdezucht und unserer föderalen Struktur an. Die Akzeptanz von Selektionsentscheidungen ist bei der veränderten Züchterschaft sehr gesunken. Wir beobachten zunehmend einen „Hengsttourismus“, das heißt, „wenn mein Verband den Hengst nicht kört, suche ich mir einen anderen“. Im Wettbewerb um Mitglieder findet sich irgendein Verband, der bereit ist, Zugeständnisse zu machen. In Deutschland gibt es dadurch zu viele Hengste mit Qualtitätsmängeln, die das Gesamtniveau nach unten ziehen.
Wochenblatt: Wie erklären Sie sich beispielsweise die Erfolge der Niederländer und Belgier? Laufen diese uns dauerhaft den Rang ab?
Dr. NIssen: Die Rangierung der erforderlichen Sportpferdezucht nach der „World Breeding Federation For Sport Horses (WBFSH)“-Weltrangliste zeigt, dass die deutschen Verbände in den vergangenen Jahren an Boden verloren haben, insbesondere im Bereich der Dressurpferde. Hier hat Holland die Führung übernommen, und Belgien folgt Holstein und Frankreich auf den Fersen. In Holland wird anhand von Leistungsprüfungen streng selektiert und ein Verband (KWPN) macht die Vorgaben, an die sich alle Züchter und Hengsthalter zu halten haben. Man muss aber wissen, dass diese Verhältnisse nicht auf uns übertragbar sind. Allerdings hat man sich in Holland und Belgien zu einem großen Teil mit unserer guten Genetik aufgerüstet. Vieles machen die Verbände dort gut, auf das wir uns auch wieder besinnen sollten.
Wochenblatt: Diskutiert werden kann viel, aber es müssen auch Taten folgen. Haben Sie Hoffnung, dass die Zuchtverbände hier gemeinsame Lösungen finden werden? Mit einem Vorpreschen einzelner Verbände ist sicher nicht zu rechnen ...
Dr. Nissen: Jeder Verband ist für sein Handeln verantwortlich. Hier kann die Gemeinschaft nicht helfen. Allerdings muss die FN gut Rahmenbedingungen schaffen, was wiederum nur durch die Gemeinschaft der deutschen Zuchtverbände möglich ist. bp
Das Interview zeigt, dass die Zuchtverbände schon seit langer Zeit die Probleme kennen, aber seitdem nicht in der Lage oder nicht gewillt waren, sie zu lösen:
Hat Deutschland bei der Zucht von Sportpferden die über Jahrzehnte bestehende Vormachtstellung verloren? Wir sprachen darüber mit
Dr. Thomas Nissen, Zuchtleiter des Holsteiner Verbandes.
Wochenblatt: Bei der Jahrestagung der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) in Trier Anfang Mai haben Sie die Ergebnisse einer aktuellen Beratung des Vorstands Zucht gemeinsam mit dem Vorstand des Vereins deutscher Hengsthalter vorgestellt. Was war der Anlass für die Beratung?
Dr. Nissen: Im vergangenen Jahr hat sich der „Verein deutscher Hengsthalter“ neu formiert. Private Hengsthalter und Vertreter der Landgestüte wollen in dem neuen Zusammenschluss gemeinsam Ideen zur Förderung und Verbesserung der deutschen Pferdezucht umsetzen. Dazu hatte der FN-Vorstand Zucht die Führung des Hengsthaltervereins nach Warendorf eingeladen. Da es bei diesem Treffen vorrangig um Selektion und Leistungsprüfungen ging, war auch die Hengstleistungsprüfung (HLP)-Arbeitsgruppe der Zuchtleiter an diesem Gespräch beteiligt. Die Sitzungsteilnehmer hatten mich gebeten, in Trier zum Thema „Selektion der deutschen Pferdezucht“ zu berichten.
Wochenblatt: Ein Ergebnis der Besprechung war, dass Körungen und Stutenschauen zu Verkaufsveranstaltungen degradiert sind. Können Sie dies näher erläutern?
DR. NIssen: Ein entscheidendes Ergebnis der Sitzung war, dass die Teilnehmer erkannten, dass die deutsche Pferdezucht auf dem Wege ist, die über Jahrzehnte bestehende Vormachtstellung in Bezug auf die Zucht der weltbesten Sportpferde zu verlieren. Bei der Ursachenforschung war man schnell bei einigen „wunden“ Punkten angelangt. Qualitätsverbesserung hat immer mit Selektion zu tun! Die höchste Vermehrungsrate liegt nun mal bei den Hengsten und hier spielt die Körung im Selektionsgeschehen die größte Rolle. Wenn wir uns die deutschen Körplätze ansehen, so hat sich dort ein enormes Marktgeschehen entwickelt. Vermarktung ist wichtig, nur müssen sich die Züchter und die Verbände fragen: Welche Kompromisse dürfen bei der Selektion zu Gunsten des Marktes gemacht werden? Hier haben sich Toleranzen „eingeschlichen“, die heute zu Qualitätsverlusten geführt haben. Der Wettlauf der Zuchtverbände um die Käufergunst und um die Spirale der Spitzenpreise zeigt uns deutliche negative Auswirkungen. Stutenschauen stehen nicht so sehr im Fokus der breiten Öffentlichkeit. Eine Selektion findet durch die Bonitierung bzw. Zuordnung in die unterschiedlichen Abteilungen der Zuchtbücher statt. Richtige Selektionsentscheidungen liegen mehr in den Händen der Züchter, ein Zulassungsverbot gibt es nicht.
Wochenblatt: Das „Hochpuschen“ der dreijährigen Hengste zur Körung ist ohnehin umstritten. Sollte nicht besser ein anderer Zeitpunkt gewählt werden?
Dr. NIssen: Die Frage des richtigen Körzeitpunktes konnte auch in der Sitzung in Warendorf noch nicht beantwortet werden. Es gibt gute Gründe, bei vernünftiger und altersgerechter Vorbereitung den in Deutschland traditionellen Herbsttermin beizubehalten. Die Kollegen aus Oldenburg favorisieren einen Körtermin im Frühjahr mit sich anschließender Veranlagungsprüfung auf Station. Auch dafür gibt es viele gute Argumente, und ein solches Modell würde die „Unart“ des Zuchteinsatzes von ungeprüften Hengsten drastisch einschränken. Entscheidend ist die Konsequenz der Verbände bei der Umsetzung ihrer Zuchtprogramme. Die Zuchtpolitik der Verbände darf nicht durch wirtschaftliche Interessen der Hengsthaltung bestimmt werden. Hochgepuschte Junghengste werden schnell zu „Stars“ gemacht und decken/besamen ungeprüft schon eine hohe Anzahl von Stuten. Entspricht der „wahre Zuchtwert“ später nicht dem „ersten Eindruck“, zahlt der Züchter die Zeche.
Wochenblatt: „Ein positives Körurteil ist der heutigen Zeit keine Frage mehr der Qualität des Hengstes, sondern der Ausdauer des Besitzers“. Was sagen Sie zu diesem Zitat?
Dr. NIssen: Damit sprechen Sie ein weiteres Problem der deutschen Pferdezucht und unserer föderalen Struktur an. Die Akzeptanz von Selektionsentscheidungen ist bei der veränderten Züchterschaft sehr gesunken. Wir beobachten zunehmend einen „Hengsttourismus“, das heißt, „wenn mein Verband den Hengst nicht kört, suche ich mir einen anderen“. Im Wettbewerb um Mitglieder findet sich irgendein Verband, der bereit ist, Zugeständnisse zu machen. In Deutschland gibt es dadurch zu viele Hengste mit Qualtitätsmängeln, die das Gesamtniveau nach unten ziehen.
Wochenblatt: Wie erklären Sie sich beispielsweise die Erfolge der Niederländer und Belgier? Laufen diese uns dauerhaft den Rang ab?
Dr. NIssen: Die Rangierung der erforderlichen Sportpferdezucht nach der „World Breeding Federation For Sport Horses (WBFSH)“-Weltrangliste zeigt, dass die deutschen Verbände in den vergangenen Jahren an Boden verloren haben, insbesondere im Bereich der Dressurpferde. Hier hat Holland die Führung übernommen, und Belgien folgt Holstein und Frankreich auf den Fersen. In Holland wird anhand von Leistungsprüfungen streng selektiert und ein Verband (KWPN) macht die Vorgaben, an die sich alle Züchter und Hengsthalter zu halten haben. Man muss aber wissen, dass diese Verhältnisse nicht auf uns übertragbar sind. Allerdings hat man sich in Holland und Belgien zu einem großen Teil mit unserer guten Genetik aufgerüstet. Vieles machen die Verbände dort gut, auf das wir uns auch wieder besinnen sollten.
Wochenblatt: Diskutiert werden kann viel, aber es müssen auch Taten folgen. Haben Sie Hoffnung, dass die Zuchtverbände hier gemeinsame Lösungen finden werden? Mit einem Vorpreschen einzelner Verbände ist sicher nicht zu rechnen ...
Dr. Nissen: Jeder Verband ist für sein Handeln verantwortlich. Hier kann die Gemeinschaft nicht helfen. Allerdings muss die FN gut Rahmenbedingungen schaffen, was wiederum nur durch die Gemeinschaft der deutschen Zuchtverbände möglich ist. bp
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