Stutenfamilien TRAKEHNER

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  • Fee072
    • 13.01.2011
    • 418

    #41

    Ich meinte geschichtliches ;-)

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    • cps5
      • 07.07.2009
      • 1607

      #42
      Oh, fein! Jemand mit Interesse am "Geschichtsunterricht". Ich hoffe, ich kriege das hin, ohne langweilig zu werden:
      Blinklicht stammt aus der Familie der Blitzrot (1942 in Trakehnen geboren).
      Blitzrot war eine typische Stute die durch den Einfluss schwererer, aber trotzdem äußerst qualitätvoller Zuchthengste nach dem Ersten Weltkrieg ein stärkeres Kaliber bekommen hatte, ohne dass deswegen Typ und Leistungsstärke verloren gingen. Ihre Urgroßmutter Paderborn war noch eine ziemlich typische Stute mit viel Vollbluteinfluss, prädestiniert für die Züchtung eines hervorragenden Soldatenpferdes und auch für sportliche Zwecke. Nachdem durch den verlorenen Ersten Weltkrieg und den Versailler Vertrag das deutsche Heer auf 100.000 Mann reduziert wurde, brach natürlich der Absatzmarkt für Remonten für das Heer weg. Gleichzeitig wurde für den Wiederaufbau ein stärkeres Pferd für alle landwirtschaftlichen Arbeiten benötigt. Für den Zuchteinsatz bedeutete dies, dass die schwereren Hengste des Gestüts bevorzugt eingesetzt wurden und weitere qualitätvolle starke Hengste aus den großen Gestüten und von einigen herausragenden Privatzüchtern erworben wurden.
      Hierzu zählte Obelisk, der aus Beberbeck kam, und in Anpaarung mit Paderborn die Stute Badefrau brachte. Diese erhielt als Partner Pirol, der, bevor er wegen seiner sehr guten Vererbungsleistung zum Trakehner Hauptbeschäler wurde, z. B. auch die Zucht der jetzt noch aktiven und damals bereits sehr bekannten Züchterfamilie Scharffetter beeinflusst hat. Insbesondere ist er der Vater von Ita, der Mutter von Italia, die wiederum den wichtigen Vererber Impuls für die Nachkriegszeit brachte. Diese Stuten der Scharffetter'schen I-Familie waren in der Regel tiefe, rumpfige Pferde, die in der Qualität den Stuten der braunen Herde Trakehnens nicht nachstanden. Als später der Sport an Bedeutung gewann, zeigte sich, dass viele doppelt veranlagte Pferde aus ihr hervorgingen. Sie erzielten Erfolge sowohl im Springen als auch in der Dressur. Die Familie der Ita/Italia ist heute noch hochaktuell.
      Die aus dieser Verbindung (Pirol x Badefrau) hervorgegangene Stute Blindschleiche erhielt Kupferhammer zum Partner, einem qualitätvollen Hengst aus der Tempelhüter-Tochter Kronhüterin in Anpaarung mit Parsival. Dieser wiederum war ein Sohn des enorm kalibrigen Halbblüters Morgenstrahl (von Blue Blood xx). Kupferhammer wurde von den Nationalsozialisten für ein Projekt genutzt, bei dem man verschiedenste Tiere der Landwirtschaft miteinander kreuzte, um ein Produkt zu züchten, dass die guten Eigenschaften aller Tiere in sich vereinte. Das gelang nicht, und man gab es schnell wieder auf.

      Mit Kupferhammer brachte Blindschleiche dann die Stute Blitzmädel. Sie ist 1933 geboren, und mit der Weigerung Hitlers, den Versailler Vertrag anzuerkennen und gleichzeitiger Aufstockung des Heeres waren wieder Remonten gefragt. Zwar war man bereits der Meinung, dass Pferde durch die zunehmende Motorisierung nicht mehr in dem Maße gebraucht wurden, aber die Technik war, insbesondere in der kalten Jahreszeit, einfach noch zu unausgereift. So erhielten auch wieder Hengste leichteren Kalibers und auch Vollblüter sowie Araber eine größere Chance. So war dann der Partner für Blindschleiche der sehr sportliche Hirtensang, der auf der Vaterseite zwar mit Parsival, Morgenstrahl und Obelisk ebenfalls die Verstärkung erfuhr, aber genau wie seine Partnerin Blitzmädel auf der Mutterseite viel Vollblut führte. Hirtensang machte herausragende Springpferde; leider ging er bei der Flucht in den Westen verloren.
      Jetzt sind wir also bei Blitzrot, der Großmutter von Blinklicht. Blitzrot gelangte in den Westen, kam zunächst - wie viele Trakehner - in das Gestüt Rantzau und wurde dann - 20-jährig - noch Gründerstute im Gestüt Birkhausen. Sie war Teilnehmerin an DLG-Schauen und ging daneben - wie alle Stuten der damaligen Zeit - als Arbeiterin in der Landwirtschaft im Geschirr. Um die Qualität von Blitzrot einschätzen zu können, muss man folgendes wissen: Als der letzte Trakehner Landstallmeister Dr. Ehlert mit Pferden des Hauptgestüts Trakehnen nach Westen zog, galt Mecklenburg-Vorpommern damals als absolut sicherer Zufluchtsort vor der russischen Armee. Als bemerkt wurde, dass die Truppen Stalins im Begriff waren, auf Berlin zu marschieren, war klar, dass man möglichst weit genug nach Westen musste, um sicher zu sein. Die Grenze zum späteren Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (in diesem Fall konkret Schleswig-Holstein) wurde von Briten kontrolliert, und die Pferde durften sie nicht passieren. Sie hatten als Reputationsleistung auf dem russischen Sektor (also dem Gebiet der späteren und jetzt ehemaligen DDR) zu verbleiben. Allerdings wurde gestattet, 28 Stute (mit Fohlen, soweit vorhanden) und 2 Hengste passieren zu lassen, da ein kleiner Teil dieses Gebietes (Rastenburg) zum britischen Sektor gehörte, und diese 30 Pferde (plus sechs Fohlen) entsprachen diesem Anteil.
      Das hieß also von den mehreren hundert Stuten, die im Hauptgestüt Trakehnen vereint waren und von denen 150 bis 200 Stuten Mecklenburg-Vorpommern erreicht hatten, hatte Dr. Ehlert jetzt die Aufgabe, die seiner Meinung nach besten 28 Stuten herauszusuchen, um mit ihnen dann die Zucht wieder neu aufzubauen. Eine dieser Stuten war die damals 3-jährige Blitzrot (andere Namen waren Polarfahrt, Kassette, Donna, Handschelle, Pelargonie, Tapete, Kokette, um nur einige zu nennen).
      Bei der Anpaarung der mittlerweile 16-jährigen Blitzrot an den Vollblüter Pindar xx hat man wieder den alten Trakehner Faden aufgegriffen, hochwertige Vollblüter zu verwenden. Der Blutanschluss war ja bei Blitzrot durch die Mütter ihrer beider Eltern gegeben, so dass sich dies anbot. Pindar xx brachte einige sehr gute Stuten für die Trakehner Zucht. Die wohl berühmteste ist die vierfache Hengstmutter Griseldis, aber auch die aus der Verbindung mit Blitzrot hervorgegangene Blitzlicht II war von hervorragender Qualität. Mit Komet brachte sie den internationalen Dressurvererber Doruto (Vater von Ideaal u. a.).
      Eleganz, Schönheit und hervorragende Bewegungen waren in der Familie verankert. Jetzt kam mit Burnus in Anpaarung an Blitzlicht II Leistung pur dazu. Aus dieser Verbindung ging schließlich Blinklicht hervor. Und Blinklicht setzte die Zuchtleistung ihrer Mutter und Großmutter fort. Sie ist Mutter des Beschälers Benz (von Rockefeller), der selbst ein gutes Dressurpferd ist. Und über ihre Tochter Ballerina XXV (v. Diamant) Großmutter des enorm stark gefragten und gut vererbenden Buddenbrock (Trakehner Hengst des Jahres 2010) und Vater so herausragender Hengste wie Connery (seinerseits Vater von Imperio), King Arthur und In flagranti. Alle Hengste erfolgreich bis S-Dressur. In Flagranti und King Arthur waren darüber hinaus Körsieger.

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      • cps5
        • 07.07.2009
        • 1607

        #43
        Zu Feh, über die ich leider nicht so viel sagen kann:

        Hier war die Sache schon dadurch anders, dass diese Familie nicht dem Hauptgestüt entstammt, sondern bei der Züchterfamilie Mack in Ragnit beheimatet war.

        Die Großmutter Fee war eine angloarabische Stute, die mit dem Ostpreußen Nordwest angepaart wurde und mit ihm Feodora brachte (also die Mutter von Feh). Während das Hauptgestüt natürlich einen Zuchtauftrag hatte und entsprechende Pferde liefern musste, also immer wieder dem Druck ausgesetzt war, mal schwerere oder leichtere Hengste, je nach Marktlage und möglichst ohne Qualitätverlust einzusetzen, waren die Privatzüchter in ihrer Wahl freier. Während manche Züchterfamilien wie die Scharffetters in Kallwischken einen schwereren Schlag mit hebelnden Gangarten züchteten, bevorzugten andere wie die Familie Sperber in Lenken das vollblutgeprägte Pferd. Qualität hatten sie alle auf ihre Art.

        Auch die Familie Mack mochte offenbar Blutpferde. Denn die Stute Feodora, die den arabischen Überguss ihrer Mutter geerbt, aber durch ihren Vater mehr Kaliber erhalten hatte, wurde an Canino angepaart. Sein Vater Cancara war ein Dreiviertelblüter vom Vollblüter Master Magpie xx aus einer Tochter des Anglo-Arabers Nana Sahib x. Cancara war der Sportpferdevererber zwischen den Kriegen schlechthin. Er selbst war ein sehr gutes Springpferd.

        Feodora und ihre Mutter Fee treckten nach Westen und wurden bei Hiltrup/Neumünster ansässig. Feodora brachte mit Altan (einem guten Springpferdevererber) die Stute Feh, deren Nachkommen dann allerdings dressurorientiert waren. Sie war mehrfache Hengstmutter, und vor allem ihr Sohn Frohsinn hinterließ eine Reihe sehr guter Sportpferde vor allem für den Springsport.

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        • Fee072
          • 13.01.2011
          • 418

          #44
          Vielen vielen Dank. Nun fehlt die Familie Cresta Star xx

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          • hörnafjödur
            • 04.11.2008
            • 37

            #45
            Schabernack v. Schöner Abend - Totilas

            das war ein Zauberpferd meiner Jugend: Geboren 1962, Preisspitze in Neumünster 1964 mit 13.000 DM, danach Haupt- und Landbeschäler in Marbach und Privatbeschäler in Holstein. Er war ein großrahmiger Schwarzbrauner mit "goldenen Äpfeln" im Fell und nahezu idealem Exterieur.
            Er hat viele Nachkommen in Marbach und in der Württemberger Landeszucht gebracht unter anderem auch den Landbeschäler Schüler mit ordentlich Trakehner Blutanteil (seine Vollschwester wurde über 30 Jahre alt). Horsetelex weiss mehr...
            Geritten habe ich nur eine Schabernack Stute (aus der teilweise arabisch geprägten Mutterlinie von Gardez), die damals vierjährig nicht ganz einfach, aber enorm leistungsbereit war und bereits gut den Reitpferdetyp verkörperte. Dass die Umzüchtung zum heutigen Württemberger den Pfad der Trakehner Tugend verliess, finde ich schade, aber viele Züchter setzten auf Hannoveraner, Holsteiner, Oldenburger.

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            • Darling
              • 03.05.2011
              • 9

              #46
              @milena07

              hast du inzwischen die beiden trakehner stutbücher verkauft?
              ich suche band II...

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              • juno
                • 26.06.2011
                • 698

                #47
                Kann mir jemand Auskunft über die Familie HISZPANIA, O 34 B 2, bzw. die Stute Amadine geben ( bitte mit "Geschichtsunterricht")


                und Auskunft über die Familie der KETZERIN, T 2 A (Hauptg. Trakehnen, hier besonder die Stute Cma https://www.horsetelex.de/horses/pedigree/98340
                ihr Sohn Ciecieruk ist mehrfach im Pedigree meines Pferdes vertreten.

                Danke vielmals!


















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                • cps5
                  • 07.07.2009
                  • 1607

                  #48
                  Hallo juno,

                  habe deinen Post erst jetzt gelesen und kann vielleicht das Eine oder Andere zu den beiden Stämmen sagen.

                  Zuerst zur Ketzerin:

                  Ketzerin war eine Original-Trakehnerin, d. h. sie wurde im Hauptgestüt Trakehnen geboren. Bis zur Flucht und Aufgabe des Gestüts infolge des Zweiten Weltkriegs.wurden nur im Hauptgestüt geborene Pferde als Trakehner bezeichnet. Daneben gab es die ostpreußische Landespferdezucht, die mit Hilfe der in Trakehnen geborenen Hengste, die auf die verschiedenen Landgestüte verteilt und von dort aus ihren Deckstationen zugewiesen wurden, nach und nach verbessert wurde. Die Spitzenpferde aus dieser Landespferdezucht wiesen dann auch dieselbe Qualität wie diejenigen des Hauptgestüts auf. Dies führte dazu, dass auch immer wieder mal ostpreußische Hengste in Trakehnen eingestellt wurden. Deren im Hauptgestüt geborene Nachkommen galten wiederum als Trakehner. Dieser Begriff war zum damaligen Zeitpunkt eine Bezeichnung des Geburtsorts.

                  Allein in Trakehnen als Hauptbeschäler aufgestellt zu werden, erforderte bereits eine hohe Qualität vor allem hinsichtlich der Vererbung. Die Hengste mussten sich vorher ausnahmslos in der Landespferdezucht als Vatertiere beweisen. Erst nach dem Ersten Weltkrieg, als das Zuchtziel, bedingt durch politische Entscheidungen im Rahmen des Versailler Friedensvertrages, abrupt angepasst werden musste und ein kalibrigeres Pferd benötigt und begünstigt wurde, kam es in Einzelfällen vor, dass ein Hengst von vornherein im Hauptgestüt verblieb, um bloß keinen Jahrgang zu verlieren. Das war bei Ararad (dem Vater der Ketzerin) der Fall, der das Hauptgestüt nie verließ und etwas später auch bei Pilger, der nur zur HLP nach Zwion geschickt wurde und dann sofort ins Hauptgestüt zurückkehrte (zu Ararads Zeiten fanden die Hengstleistungsprüfungen noch in Trakehnen statt).

                  Neben den Ostpreußen und den Trakehnern gab es dann noch das Ostpreußische Warmblutpferd Trakehner Abstammung, bei dem ein Elternteil (meist der Vater) ein Trakehner (also ein in Trakehnen geborenes Pferd) war. Diese Pferde hatten als Brand die doppelte Elchschaufel, wie sie bei den Nachkriegspferden verwendet wurde.

                  Zurück zur 1934 geborenen Ketzerin, die nun eine Trakehnerin war:

                  1945 musste das Gestüt geräumt werden, und die Pferde wurden in Waggons in westliche Richtung gefahren. Bereits zuvor konnte Dr. Ehlers, der letzte Landstallmeister Trakehnens, einige Pferde in diese Richtung verbringen. Es handelte sich insgesamt um 300 bis 350 Stuten, die er bis nach Perlin in Mecklenburg-Vorpommern verbringen konnte.

                  Die Gebiete, die später die DDR bildeten und unter den Einfluss der sowjetischen Besatzungsmacht gerieten, galten eigentlich als völlig sicher vor dem Zugriff der russischen Armee unter Stalin. Doch bald stellte sich heraus, dass eben auch Mecklenburg-Vorpommern der damaligen Sowjetunion zugesprochen werden sollte. Als Dr. Ehlers weiter in den Westen über die Grenze nach Schleswig-Holstein vorrücken wollte, war diese bereits von den Briten besetzt. Ein Überqueren war nicht möglich. Die Pferde des Hauptgestüts befanden sich natürlich - wie das Gestüt selbst - im staatlichen Besitz. Sie mussten als Reparationsleistung an die Sowjetunion abgegeben werden. Dr. Ehlers wandte sich an den befehlshabenden Kommandanten, Brigadegrenadier Bolton. Dieser war ein passionierter Reiter und intervenierte in Dr. Ehlers Interesse. So konnte er erreichen, dass eine bestimmte Anzahl von Pferden (27 Stuten und 2 Hengste) nach Schleswig-Holstein verbracht werden durften. Dies war deshalb möglich, weil ein Teil Mecklenburg-Vorpommerns, nämlich Ratzeburg, Schleswig-Holstein und damit den Briten zugeschlagen wurde. So durfte eben auch eine gewisse Zahl von Pferden nach Schleswig-Holstein übersiedeln.

                  Die Stute Ketzerin war hier nicht dabei. Sie wurde wie die anderen fast 300 Stuten ins russische Staatsgestüt Kirow verbracht. Bei der Auswahl der 27 Stuten dürfte das Alter ebenso eine Rolle gespielt haben wie eine möglichst breite Auswahl an den Blutströmen des Hauptgestüts. Ararad war bereits als Muttervater von den ausgewählten Stuten Handschelle und Herbstzeit vertreten. Zudem war er Muttervater eines der beiden auserwählten Hengste (Sporn v. Pythagoras). Mit elf Jahren dürfte Ketzerin auch schon über das gewünschte Alter hinaus gewesen sein.

                  In Kirow traf Ketzerin auf den ebenfalls in Trakehnen geborenen Fuchshengst Termit. Die Hengste sollten natürlich auf einem anderen Weg in den Westen Deutschlands verbracht werden. Im Herdenverband mit den Stuten wäre das unmöglich gewesen. Das Verbringen in einzelnen Herden war aber die einzige Möglichkeit, mit dem wenigen noch vorhandenen Personal diese große Anzahl von Stuten zu den Bahnhöfen zu bringen.

                  Die Hengste wurden jedoch auf ihrer Route abgefangen, und das Schicksal der meisten Hengste blieb ungeklärt. Bei Termit konnte später festgestellt werden, dass er direkt nach Kirow verbracht wurde. Dort wurde er zu einem Begründer der Trakehner Zucht in Russland. Mit Ketzerin lieferte er die Stute Cma, die offenbar nach Polen verkauft wurde und dort den S-Springsieger Ciecieruk brachte, der auch als Vererber hervorragend einschlug.

                  Und zur Amadine:

                  Bei ihr handelt es sich im ursprünglichen Sinn um ein Ostpreußisches Warmblutpferd Trakehner Abstammung. Bei der 1947 geborenen Stute gelten diese Unterscheidungen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Alle Pferde, die in das neu zu gründende Zuchtbuch eingetragen wurden, werden seitdem schlicht als Trakehner bezeichnet, wobei sich das Zuchtbuch aus folgenden Pferden zusammensetzt:

                  - Trakehner
                  - Ostpreußisches Warmblut Trakehner Abstammung
                  - Ostpreußisches Warmblutpferd
                  - Edelblut (arabisches und englisches sowie anglo-arabisches Vollblut)-
                  - Sonstige

                  Bei den Sonstigen handelt es sich in der Regel um westpreußische Pferde, die ihrerseits durch ostpreußischen und Trakehner Einfluss geprägt waren, aber auch Fremdblut aufwiesen.

                  Dies hatte seine Ursache in den Gegebenheiten der Flucht, bei der zunächst die östlichsten Gebiete geräumt wurden und im Zuge des Vormarschs der sowjetischen Armee die westlicher gelegenen Gebiete sich sukzessive dem Treck anschlossen. Um einen weiteren Genpool der stark reduzierten Population der Trakehner/Ostpreußen zu erreichen wurden vereinzelt qualitätvolle Stuten dieser Blutführung mit ins Zuchtbuch aufgenommen. Auch eine schwedisiche Warmblutstute (Heimkehr), die auf Trakehner Linien zurückgeht, aber eben auch schwedisches und hannoversches Warmblut führte, konnte eine eigene Familie gründen.

                  Während die Trakehner als Reparationsleistung an die Sowjetunion abgegeben werden mussten, verblieben die Pferde der ostpreußischen Privatbesitzer, sofern sie nicht den Westen Deutschlands erreichten, auf dem Gebiet, das nach dem Zweiten Weltkrieg polnisch wurde. Dies geschah dann, wenn die flüchtende Bevölkerung entweder von der vorrückenden russischen Streitmacht eingeholt wurde. zum Teil entschlossen sich die Flüchtlinge aber auch selbst, ihre Flucht abzubrechen, da sie auf eine Rückkehr nach Ostpreußen hofften (es wäre nicht das erste Mal gewesen) und ihren zu dieser Zeit hochtragenden Stuten einen weiten Rückweg ersparen wollten. Die Papiere dieser Pferde gingen vielfach verloren, und ein ostpreußisches Pferd konnte dann nur durch seinen Brand als solches identifiziert werden.

                  Bei Amadine hingegen liegen die Papiere noch vor. Ihr Vater ist der in Trakehnen geborene Rapphengst Polarstern, der lange der einzige Hengst war, dessen Verbleib geklärt werden konnte. Er wurde im polnischen Staatsgestüt Liski aufgestellt, wo er mit Huryska auf eine ostpreußische Stute traf, deren Blutlinien über Vater, Muttervater und MMV auf das Hauptgestüt zurückgingen.

                  Mehr kann ich zur Geschichte der beiden Stuten Amadine und Ketzerin leider nicht beitragen, allerhöchstens noch allgemeine Gedanken zwischen dem Hauptgestüt und den Privatzüchtern in Ostpreußen, wenn das interessant sein sollte. Um zu sehen, ob diese beiden Stutenstämme (vor allem derjenige der Ketzerin) mittlerweile auf dem Umweg über Polen wieder auf die deutsche Trakehner Zucht Einfluss genommen haben, müsste ich mehr Informationen zu den Nachkommen aus diesen Stämmen haben, als mir im Moment vorliegen. Ich hoffe, ich konnte dir trotzdem noch etwas Interessantes sagen


                  Kommentar

                  • juno
                    • 26.06.2011
                    • 698

                    #49
                    Hallo cps5, vielen Dank für Deine weitreichenden Ausführungen!
                    Zur Stute Ketzerin kann ich noch beisteuern, daß diese den Hengst Keith (v. Pythagoras, geb. 1942) brachte, der wohl als letzter Originaltrakehner in der BRD in den 70 er Jahren verstarb.
                    Amadine v. Polarstern brachte 1955 v. Hunnenkönig die Stute Hamadine, welche 1959 den Hengst Hamilton ( v. Grzesznik (v. Portius-Ararad) fohlte. von Hamilton stammt die Stute Czagda (
                    https://www.horsetelex.de//horses/pedigree/21707) , deren Tochter Curiosa (https://www.horsetelex.de//horses/pedigree/21706) die Mutter von Chiusa v. Nequen xx ist. Chiusa ist die Mutter von Charly Chaplin und Chopin (https://www.horsetelex.de/horses/progeny/21691)
                    Charly Chaplin hat viele Nachkommen bei den Trakehnern, sodaß noch etwas von diesen Blutströmen der Amadine in der modernen westdeutschen Trakehnerzucht schlummert!

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                    • juno
                      • 26.06.2011
                      • 698

                      #50
                      wenn ich weiter in den Ahnen meines Pferdes stöbere, stosse ich auf die Stute Hulluch v. Polarsturm
                      (Fam. d Crab (Hauptgestüt Trakehnen) T14) deren Tochter Heraldik https://www.horsetelex.de//horses/pedigree/12596 die Stute Herbstzeitlose v. Ararad brachte. Diese Familie ( https://www.horsetelex.de//horses/pedigree/9364) scheint ja in der heutigen Zucht voll verankert zu sein, wenn ich mir die Nachkommenschaft so ansehe! (z.B. https://www.horsetelex.de//horses/pedigree/38264)

                      Echt irre!

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                      • cps5
                        • 07.07.2009
                        • 1607

                        #51
                        Ja, Herbstzeit ist immer stark vertreten gewesen, und zwar über zwei völlig verschiedene Zweige.
                        Derjenige über Herbstgold ist der, der den so genannten Trakehner Typ am sichersten wiedergibt. Er ist deutlich dressurorientiert.
                        Der Zweig über Herbstblüte macht sehr viele bunte Pferde mit viel Größe und Rahmen, in der Regel vielseitig veranlagt. Aus diesem Zweig stammen Herzchen, Herzruf usw.

                        Sie gehörte zu den 27 Stuten, die Dr. Ehlers nach Schleswig-Holstein überführte. Andere Namen sind Kassette, Kokette, Isola Longa, Handschelle, Goldelse, Polarfahrt, Tapete, Blitzrot, Halensee, Suska und Pelargonie.

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                        • Sönnchen
                          • 01.04.2011
                          • 79

                          #52
                          Wer kann etwas zu den Stutenfamilien der Suska und der Kantilene berichten?

                          Kommentar

                          • cps5
                            • 07.07.2009
                            • 1607

                            #53
                            Hallo Sönnchen!

                            Das wird jetzt ziemlich viel, und ich werde meinen Post splitten.

                            Suska und Kantilenes Stammmutter Kassette gehörten - wie oben geschrieben - ebenfalls zu den 27 Stuten, die nach Schleswig-Holstein verbracht wurden. Diese wurden neben einigen herausragenden Stuten der Landespferdezucht in das Gestüt Rantzau verbracht, um einen Neuanfang zu starten. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die Mitte der 70er Jahre entstanden und 1980/1981 zur Schließung dieses Gestüts sowie weiterer Verbandsgestüte wie Birkhausen führten, bedeuteten einen herben Rückschlag vor allem hinsichtlich Organisation und Struktur für die Trakehner Zucht. Für Dr. Fritz Schilke, dessen Lebenswerk Rantzau war und der dessen Ende hochbetagt noch selbst erleben musste, war es zudem ein persönlicher Schlag.

                            Sowohl Suska als auch Kassette spiegeln in ihrer Abstammung die politischen Ereignisse wider, die nach dem Verlust des Ersten Weltkriegs hinsichtlich des Zuchtziels getroffen werden mussten. Im Rahmen des Versailler Friedensvertrages wurde das deutsche Heer auf ein Minimum reduziert. Somit fiel der Remontemarkt als Hauptabsatzmarkt für die ostpreußischen Pferde und ihre Züchter weg. Im Gegensatz dazu machten die Zerstörungen, die der Ersten Weltkrieg mit sich brachte, den Einsatz Zeit vergleichsweise viele schwerere Hengste aus der Landespferdezucht aufgestellt, die sonst nicht auserwählt worden wären. Mittlerweile hatten die ostpreußischen Züchter allerdings ein derart hohes Niveau ihrer Pferde erreicht, dass diese nur relativ kurz währende Phase keinen nennenswerten Qualitätsverlust bedeutete.

                            Diese Gemeinsamkeit der Notwendigkeit zur Verstärkung der Stutenbasis des Hauptgestüts bei Suska und Kassette hat sogar einen Namen: Islam. Dieser war Vater des 1923 geborenen braunen Hengstes Flieder (a. d. Forstnymphe v. Dingo).

                            Flieder wurde bereits 3-jährig in Trakehnen eingestellt. Entsprechend der sehr kurzen Verstärkungsphase ging er bereits 6-jährig in die Landespferdezucht zurück. Über ihn werden von Jürgen von Henninges im "Hauptbeschälerbuch Trakehnen 1732 - 1745" folgende Beschreibungen überliefert:

                            "HPA Zwion: Schritt: gut, Trab: sehr gut, Galopp: gut; Konstitution: normal; Temperament: sehr günstig."

                            "Sehr stark, aber etwas groß und ordinär mit großem Kopf. Könnte etwas mehr Rumpf haben. Sehr starke Beine, Hinterbein wenig gewinkelt. Gang korrekt und sehr schwungvoll. Sehr guter Schweifträger."

                            "Entsprechend seinem eigenen Erscheinungsbild litt seine Vererbung hin und wieder am Mangel an Ausdruck; mit leichten, z. T. auch mäßigen Stuten vererbte er sich gut."

                            Bei den erwähnten leichten, z. T. auch mäßigen Stuten dürfte es sich um diejenigen Stuten des Hauptgestüts gehandelt haben, die in erster Linie der gemischtfarbenen Herde entstammen. Bei diesen Stuten muss man sich Folgendes vor Augen halten:

                            Bei der Gründung des Hauptgestüts im Jahr 1732 wurde als Grundlage für die Entstehung der Trakehner Rasse bewusst kein schweres Warmblut ausgewählt, sondern auf die Schweike zurückgegriffen. Bei dieser handelte es sich um ein ca. 1,35 m großes Pferdchen, ähnlich dem Tarpan, das entsprechend der zum Teil kargen ostpreußischen Landschaft zudem sehr leicht, aber dafür außerordentlich zäh und ein gutes Arbeitspferd war. Zur Verbesserung (insbesondere hinsichtlich des Stockmaßes und des Kalibers) wurden Hengste verschiedener Typen und Rassen herangezogen. Dabei stellten sich Orientalen bzw. stark orientalisch geprägte Hengste als die erfolgreichsten Vererber heraus. Nach und nach wurde dann mit Hilfe von englischem Vollblut und einigen starken Hengsten aus großen Privatgestüten wie z. B. Graditz oder Beberbeck ein größeres und kalibrigeres Pferd erreicht.

                            Die Stuten des Hauptgestüts wurden in verschiedene, nach Farben sortierte Herden aufgeteilt. Es überrascht nicht, dass in der mit zahlreichen arabisch geprägten Schimmelstuten bestückten gemischtfarbenen Herde das Problem eines zu leichten und nicht immer korrekten Exterieurs, kombiniert mit Härte, Geist und klarem Typ, entstand. Gerade hier sollte der Einfluss solcher Hengste wie Islam und dessen Sohn Flieder verbessernd wirken. Auch in der vom englischen Vollblut bzw. Anglo-Araber geprägten Fuchsherde sowie den leichteren Stuten der braunen Herde sind solche Hengste zum Einsatz gekommen und haben teils sehr gute Nachzucht im Sinne der von ihnen erwarteten Verbesserung geliefert. Angesichts der benötigten Umstellung von der Remonte zum Landwirtschaftspferd musste dies auch noch zügig vonstatten gehen.

                            Nachdem Hitler den Versailler Friedensvertrag für nichtig erklärte, wurde der Remontemarkt wiederbelebt und der Trakehner wieder verstärkt im ursprünglichen Sinne als eher leichtes Soldatenpferd gezüchtet. Hinzu kam der Fortschritt der Technisierung und die Bedeutung der Züchtung eines Sportpferdes. Damit endete die Zeit der schweren ostpreußischen Hengste in Trakehnen, und die höher im Blut stehenden Hengste gewannen wieder an Bedeutung.

                            Hier enden die Gemeinsamkeiten zwischen Suska und Kassette, der Stammstute von Kantilene. Im Folgenden gehe ich jetzt auf beide Stämme direkt ein.

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                            • cps5
                              • 07.07.2009
                              • 1607

                              #54
                              Zunächst zur Suska:

                              Islam ist hier als MMV, also als mütterlicher Großvater von Susanne, der Mutter der Suska, vertreten. Auch über ihn gibt es Zitate aus dem oben genannten Hauptbeschälerbuch:

                              "Großer, sehr starker und schwerer, aber etwas ordinär wirkender Hengst (lockige Langhaare) mit kurzer Fessel und breiter Kruppe. Im ganzen sehr korrekt, auch in der Bewegung."

                              "Viel Aufsatz, lange Linien, gute Schulter; Rücken könnte straffer sein; starke Beine. Gang gut."

                              "Vererbte sich auch mit kleinen, mäßigen Stuten groß und schwer sowie korrekt und mit flottem Gang. Strammer Rücken und kurze Kruppe ließen sich bei seiner Nachzucht nicht verleugnen; neben besonders korrekten Produkten waren einige ziemlich gewöhnlich."

                              "Gab seine starken Knochen und seinen guten Gang mit. Seine Produkte neigten dazu, groß und mitunter auch etwas hoch zu werden. Oft waren sie auch in den Sprunggelenken bedenklich."

                              Bei ihm und auch bei seinem Sohn Flieder wird deutlich, dass beide Hengste nur als Übergangslösung angesehen wurden, um Knochenstärke und Korrektheit sowie im Zuge eines korrekten Fundaments auch den Gang zu verbessern.

                              Dieser Islam ist also der MMV von Suska. Ihr Muttervater ist mit Dampfroß der beste und bekannteste ostpreußische Hengst, der in Trakehnen eingestellt war. Er war ein sicherer Typvererber und hatte einen außerordentlichen schwungvollen und korrekten, geraden Gang. Er wurde 1930 an die Islam-Tochter Summe angepaart. Das Ergebnis dieser Anpaarung war dann Suskas Mutter Susanne.

                              Susanne erhielt 1940 als Partner den damals 5-jährigen Hellespont. Hier war bereits wieder das leichtere Soldaten- und Sportpferd gefragt, und Hellespont und führte als Halbblüter jede Menge englisches Vollblut. Sein Vater war der sehr harmonische Vollblüter Marduck xx, einer der letzten Vollblüter in Trakehnen, bevor es zur Flucht kam. Muttervater war der berühmte Tempelhüter, ein Sohn des Vollblüters Perfectionist xx und damit ebenfalls ein Halbblüter. Weiter geht es mit Red Prince II xx, dem "Stolz von Irland", der 19-jährig in Trakehnen eingestellt wurde. Er erfüllte nicht alle Erwartungen, hinterließ aber trotzdem auch die eine oder andere sehr gute Stute. Danach findet sich mit Fischerknabe ein Hengst, dessen Muttervater der englische Vollblüter Blue Blood xx war.

                              Entsprechend der vollblutgeprägten Abstammung ihres Vaters Hellespont und dem Vollbluteinfluss ihrer Mutter ab der dritten Generation der fallenden Mutterseite stand Suska im Typ eines leichten Hunters. Ihr Stamm ist immer schmal geblieben, konnte sich aber bis in die Gegenwart hinein behaupten. Aufgrund der fast immer im mittleren Rahmen stehenden Mitglieder dieses Stammes kommen aus ihm in erster Linie sehr vielseitige Pferde, die für den Busch geeignet sind. Mit dem Schimmelhengst Schampus lieferte der Stamm aber auch einen S-Dressur-Hengst, der sich auch gut vererbt hat.

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                              • cps5
                                • 07.07.2009
                                • 1607

                                #55
                                Während der Stamm der Suska - wie erwähnt - schmal blieb, stellte Kassette zumindest zeitweise die größte Stutenfamilie, die dann im Laufe der Zeit in verschiedene Zweige wie denjenigen der Kantilene (einer Enkelin von ihr) unterteilt wurde.

                                Bei Kassette wurden die verschiedenen durch politische Ereignisse notwendig gewordenen Anpaarungsentscheidungen bei Muttervater und Vater in sehr entgegengesetzter Weise getroffen. Zunächst wurde ihre mütterliche Großmutter Kaiserkrone im Sinne der Verstärkung an den erwähnten Islam-Sohn Flieder angepaart. Dies geschah 1926 und brachte Kassettes Mutter Kasematte.

                                Weiter oben schrieb ich, dass Flieder bereits 3-jährig in Trakehnen eingestellt wurde. Man entschied sich also sehr schnell für einen "ordinären" Hengst (der freilich die dringend benötigten Eigenschaften mich sich brachte), ohne bis dahin irgendwelche Nachzucht von ihm gesehen zu haben. Folgende Gründe werden hierfür höchstwahrscheinlich eine Rolle gespielt haben:

                                Zunächst hatte man mit seinem Vater Islam, der 15-jährig (also mit Wissen um seine Nachzucht) als Hauptbeschäler aufgestellt wurde, genug gute Erfahrungen gemacht, um über das Ordinäre hinwegzusehen. Mit "ordinär" ist ja nicht nur ein herber Typ gemeint, sondern auch eine gewisse Schlichtheit des Gemüts und des Geistes. Letzteres konnte man mit der grundsätzlich vorhandenen Grundlage der Abstammung leichter wieder auskreuzen. Wichtig war das, was Islam und Flieder an Stärke und Größe sowie vor allem Korrektheit einbringen konnten. Und Islam hatte unter Beweis gestellt, dass er das konnte.

                                Ein weiterer Grund für Flieders frühe Berufung als Hauptbeschäler dürfte der Muttervater Dingo gewesen sein. Dingo war Vater des herausragenden Hauptbeschälers Dampfroß (a. d. Laura v. Passvan v. Flügel) und dessen Vollbruder Diebitsch. Zwar verdankt Diebitsch seiner Berühmtheit wohl vor allem der Bruderschaft zu Dampfroß, doch war er bei den ostpreußischen Züchtern wegen seines Gangvermögens und seines guten Charakters äußerst beliebt. Zumal er beides - wie auch Dampfroß - sicher vererbte. Der 7-jährig im Jahr 1923 nach Trakehnen geholte Dampfroß hatte durch seine Nachzucht bewiesen, dass er als wirklicher Hauptbeschäler anzusehen ist und selbst diese Erwartungen noch übertroffen. Zwar war Laura, die Mutter von Dampfroß und Diebitsch, für ihr Gangvermögen und ihre unbegrenzte Gehlust berühmt, aber die Nachzucht von Dingo ließ keinen Zweifel aufkommen, dass die beiden Vollbrüder diese Eigenschaft nicht nur von der Mutter bekommen hatten. Dingo als Muttervater war also ein weiterer Pluspunkt in Flieders Abstammung.

                                Kassettes Großmutter Kaiserkrone wurde Flieder dementsprechend bereits in dessen erstem Deckjahr zugeführt. Als die aus dieser Anpaarung im Jahr 1927 gefallene Stute Kasematte im Jahr 1936 dem arabischen Hengst Harun al Raschid zugeführt wurde, hatte Hitler den Versailler Friedensvertrag bereits eigenmächtig für nicht bindend erklärt. Somit gab es wieder einen Markt für die Remonte, aber auch verstärkt für Sportpferde, die eher die Eigenschaften einer Remonte benötigten als diejenigen eines Arbeitspferdes in der Landwirtschaft.

                                Harun al Raschid war ein arabischer Hengst. Er war aber nach den Richtlinien der Vollblutaraber-Zucht nicht als Vollblutaraber anerkannt und trug somit hinter seinem Namen nicht den Zusatz "ox". Auch über ihn kann man ein Zitat im oben erwähnten Hauptbeschälerbuch Trakehnen lesen:

                                "Für einen Araber groß und stark genug. In allen Teilen korrekt, wenn auch die Sprunggelenke ausdrucksvoller sein könnten. Dem ganzen Pferd wäre mehr Schönheit zu wünschen. Gang schwungvoll, aber steppend und ganz wenig knieweit. Die Beschaffung hochwertigen arabischen Zuchtmaterials war keineswegs einfach. Der in der Not zunächst leihweise herangezogene Harun al Raschid genügte nicht den berechtigten Anforderungen, wenn er auch durchaus kein Versager war."

                                Tatsächlich hatten sich die wenige Jahre später im Zuge eines Hengstaustausches mit dem polnischen Araber-Gestüt Janow Podlaski erworbenen Vollblutaraber Fetysz ox und Adamas ox nachhaltiger vererbt. In seinen Spitzentöchtern Kassette und Martchen konnte Harun al Raschid trotzdem wertvolle Töchter stellen, deren Familien bis heute existieren.

                                Entsprechend der (gemessen an anderen Vollblut-Arabern) nicht so starken Durchschlagskraft des Vaters Harun al Raschid und der entgegengesetzten auf Größe und Kaliber mit herber Ausstrahlung ausgerichteten Vererbung des Muttervaters Flieder hat sich der Stamm der Kassette - je nachdem wie sie bzw. ihre Töchter und deren weibliche Nachkommen angepaart wurden - als im Exterieur sehr wandlungsfähig erwiesen. Folglich sind die aus diesem Stamm hervorgegangenen Hengste mehr durch ihre inneren Werte wie Leistungsbereitschaft und Härte sowie Intelligenz hervorgetreten, wogegen sie im Exterieur meist nicht "gestempelt" haben. Dies ist bis in die Gegenwart der Fall, wie man am Beispiel von Kostolany sehen kann.

                                Bei Kantilene, nach der hier gefragt wird, wurde über ihren Vater, den englischen Vollblüter Traumgeist xx, wieder der Gedanke an ein anglo-arabisches Pferd, das der Trakehner ursprünglich war und auch sein sollte, wieder aufgegriffen. Bei diesem Zweig handelt es sich allerdings um einen, der für das Springen eher geeignet war als für die Dressur und als solcher nicht adäquat gepflegt wurde. Falls du nach diesen beiden Stämmen fragst, weil dein Pferd sie in Kombination führt, würde ich - vorbehaltlich den übrigen Faktoren im Pedigree - aus dem Bauch heraus sagen, dass hier im Hinblick auf den Vielseitigkeitssport Vieles und hinsichtlich des Springsports Manches geht.

                                So, das war es jetzt. Ist ziemlich viel geworden. Falls Fotos zu den genannten Hengsten gewünscht werden, kann ich diese mit Ausnahme von Islam und Dingo gerne liefern. Auch zu Suska, Kassette und Kantilene. Dazu bitte eine E-Mail-Adresse nennen, da ich Fotos wegen Fragen des Copyrights nicht ins Internet stelle und "social media" meide.

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                                • Sönnchen
                                  • 01.04.2011
                                  • 79

                                  #56
                                  Vielen lieben Dank für Deine Mühe, cps5. Nach der Familie der Suska habe ich gefragt, weil unsere erste Trakehnerstute aus ihr stammte. Sie ist leider Anfang des Jahres gestorben. Ihren Platz im Stall hat nun eine Vertreterin der Kantilene-Familie eingenommen. Im Bezug auf Erscheinungsbild, Typ und "Vorlieben bei der Arbeit" kann ich nun die Unterschiede zwischen den beiden sehr gut herleiten. Herzlichen Dank noch mal!

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                                  • friesian
                                    • 30.04.2008
                                    • 345

                                    #57
                                    Ich würde mich sehr freuen, wenn jemand ein paar Infos zum Stutenstamm der Grenzmaid für mich hätte, Ursprung, Geschichte ect.
                                    Vielen Dank im Vorraus!

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                                    • cps5
                                      • 07.07.2009
                                      • 1607

                                      #58
                                      Hallo friesian,

                                      auch der Stamm der Grenzmaid ist relativ schmal geblieben, aber noch existent. Zu ihrer Geschichte ist folgendes zu sagen:

                                      Ihre mütterliche Abstammung ist nur bis zu ihrer dritten Mutter Herzogin lückenlos bekannt. Diese wurde an den Fuchshengst Alaskafuchs angepaart und brachte Grenzmaids Großmutter Herode. Alaskafuchs war in der damaligen Landespferdezucht ein äußerst beliebter und erfolgreicher Vererber. Auch damals bestimmte der Markt das Geschehen. Der größte Markt in Ostpreußen war das Militär. Hier wurden die meisten Pferde angekauft und die höchsten Preise bezahlt. Ausgewählte und erfahrene Kavalleristen waren in der gesamten Provinz unterwegs, um die 3-Jährigen auf den Remontemärkten zu begutachten und bei entsprechender Qualität anzukaufen.

                                      Für die Versorgung der kaiserlichen Armee hätte das Hauptgestüt allein ja nicht ausgereicht. Das weitläufige und vergleichsweise dünn besiedelte ostpreußische Gebiet musste kultiviert werden. Weite Flächen einer Sumpflandschaft (Rominter Heide auf deren Gebiet auch Trakehnen selbst lag) wurden zunächst trockengelegt. Das war die eine Sache. Das Land aber dauerhaft nutzbar zu machen, eine andere Aufgabe. Trakehnen wurde 1732 gegründet. Einige Jahre zuvor hatte die Pest in Ostpreußen gewütet und die Bevölkerung zusätzlich stark dezimiert. Kaiser Friedrich I. löste das Problem der so entstandenen Entvölkerung dadurch, dass er eine tolerante Außenpolitik betrieb und wegen ihrer Religion verfolgten Bevölkerungsgruppen wie Hugenotten oder Salzburger Protestanten eine neue Heimat gab. Er stellte ihnen kostenlos Land zur Verfügung, das sie autonom verwalten konnten. Als Gegenleistung erhielt man so die nötige Landwirtschaft, um Pferde, Rinder und natürlich auch die Menschen selbst zu ernähren.

                                      Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen brachten ihren Hausrat und Pferde mit, die als Landwirtschaftstypen schwererer Natur waren. Welcher Pferdeschlag von welchem Züchter bzw. Landwirt genutzt wurde, hing in erster Linie von dem zu beackernden Boden ab (der berühmt-berüchtigten Scholle, die heute ihre Bedeutung weitgehend verloren hat). Schwere Böden erforderten ein Pferd mit viel Zugkraft, dem dann entsprechend auch Energie für die tägliche Arbeit zugeführt werden musste, um den alljährlichen Wettlauf mit dem Wetter bei der Ernte gewinnen zu können. Kargere Böden dagegen benötigten kein besonders kalibriges, zugfestes Pferd. Sie hätten diese auch gar nicht ausreichend ernähren können.

                                      Das Soldatenpferd benötigte aber in erster Linie Ausdauer und ein gewisses Gangvermögen. Dies kam den leichteren Typen der Landespferdezucht eher entgegen als den schwereren Schlägen. Natürlich wollten - und mussten - auch die Landwirte, die kalibrige Stuten für die landwirtschaftliche Arbeit heranzogen an den Verkaufserlösen, die das Militär ausschüttete, teilhaben. Sie mussten dabei den Spagat schaffen, ein ausdauerndes, bewegungsstarkes Pferd zu züchten, ohne die Zugkraft dabei zu sehr zu vernachlässigen. Diejenigen Hengste, die mit ihren Stuten diese Gratwanderung zuverlässig schafften, waren natürlich außerordentlich beliebt, und einer von diesen Hengsten war Alaskafuchs.

                                      Er brachte in Anpaarung an Herzogin die Stute Herode, die in Kombination mit dem Hengst Lieber Kerl dann Grenzmaids Mutter Grenzmark lieferte.

                                      Ich weiß jetzt nicht mit Sicherheit, ob Lieber Kerl vom Gestüt Weedern der Familie v. Zitzewitz gezüchtet wurde; auf jeden Fall führt er aber dessen Blutlinien. Das Gestüt Weedern war seinerzeit das größte Privatgestüt in Ostpreußen. Diese Privatgestüte verfügten über Mittel, die es ihnen erlaubten, Reitpferde ganz unabhängig von landwirtschaftlichen Arbeiten zu züchten, für die dann eben notfalls Pferde anderer Rassen oder Rinder herangezogen wurden. Aber auch hier galt, das jede Stute auch ihre Arbeit im landwirtschaftlichen Betrieb zu verrichten hatte.

                                      Das Zuchtziel in Weedern orientierte sich an einem leichten, vollblutgeprägten Pferd, bevorzugt in Fuchsfarbe, das der in Trakehnen gezüchteten Fuchsherde kaum nachstand. Herausragende Trabbewegungen wurden dadurch erreicht, dass man den Aktionstraber Habakuk einsetzte, der damals die spektakulärsten Bewegungen in Ostpreußen zu bieten hatte. Bei ihm handelte es sich um einen Halbblüter. Habakuks bester Sohn war gleichzeitig der Liebling des Hausherrn. Der bunte, eher leichte Fuchs Bulgarenzar zeigte beste Bewegungen bei sehr guter Selbsthaltung. Er war mit Abstand der beste Remontelieferant in Ostpreußen, was allerdings auch daran lag, dass er auf entsprechend leichtere Stuten traf, so z. B. auf seine väterliche Halbschwester Lucina, mit der er dann Liane, die Mutter von Lieber Kerl brachte. Sein Vater Hornist (ein Trakehner) hatte mit Poseidon denselben Hengst zum Vater, der Muttervater von Abglanz war.

                                      Für die Stute Grenzmark (v. Lieber Kerl a. d. Herode) wurde Tertzky als Partner ausgewählt. Bei ihm handelt es sich um den fünf Jahre jüngeren Vollbruder von Termit (dem Vater von Abglanz). Die Mutter dieser beiden Hengste war Technik, eine ziemlich kleine und sehr leichte Stute, die wegen ihrer sehr hellen Fuchsfarbe nicht in die Fuchsherde, sondern in die gemischtfarbene Herde Trakehnens aufgenommen wurde. Ihr Partner wurde Hyperion, ein Dampfroß-Sohn aus einer Stute des sehr großrahmigen Halbblüters Haselhorst (v. Red Prince II xx). Hyperion verband den großen Rahmen seiner Mutter mit den Bewegungen und der Wucht der väterlichen Vorfahren seines Vaters Dampfroß in perfektem Maße. Die im Hauptbeschälerbuch Trakehnen (Jürgen v. Henninges) aufgeführten Zitate sind denn auch voll des Lobes über diesen Hengst. Und dies zu einer Zeit, in der die Pferde - auch öffentlich - sachlich beurteilt und auch ihre Schwächen bezeichnet wurden. Es heißt dort:

                                      "HPA Zwion 1929/30: Schritt, Trab, galopp: sehr gut; Konstitution: hart; Temperament: günstig, leicht zu reiten und zu fahren."

                                      Das damals bedeutendste Landgestüt Georgenburg wird ebenfalls zitiert: "Auffallend schöner, großliniger Hengst; breit und tief mit sehr viel Gang."

                                      Der letzte Landstallmeister in Trakehnen, Dr. Ehlers, beschrieb ihn wie folgt: "Sehr bedeutender, schöner Hengst im großen Rahmen. Prachtvolle Schulter; tief, breit und tonnig; starke ausdrucksvolle Knochen und Gelenke. Geringer Druck in der Sattellage. Gang vorzüglich, tärgt sich auch sehr gut."

                                      Und eine Fachzeitschrift (DEOP, 17. Jahrgang 1940, Seite 56) überschlug sich geradezu: "Ein Klassehengst, ein Hauptbeschäler ersten Ranges! Er verkörpert wohl zur Zeit am besten von allen lebenden Hengsten d a s Modell des ostpreußischen Vaterpferdes ... In Form und Typ ist der Hengst ein Muster. Bei der Wucht seiner Erscheinung sind die ungewöhnlich schwungvollen und raumgreifenden Gänge besonders imponierend und fast einmalig."

                                      Die guten Gänge hat er seinem Sohn Termit mitgegeben und es spricht nichts dagegen, dass er es bei dem jüngeren Tertzky auch getan hat.

                                      Mit dieser für enorme Gänge bekannten Vaterseite sowie der mit ähnlich starken Bewegungen versehenen Vaterseite ihrer Mutter ist es wohl kein Risiko, wenn man unterstellt, dass Grenzmaid ihrerseits sehr bewegungsstark war. Sie selbst war zunächst auch Reitpferd und kam erst 11-jährig in die Zucht, als sie vom Landgestüt Neustadt/Dosse (Brandenburg) erworben wurde. Die Zucht von Reitpferden in der ehemaligen DDR war alles andere als einfach. Erst deutlich später erkannten die kommunistischen Regierungen, dass sich mit dem Export von Reitpferden ganz gutes Geld verdienen ließ. Davor wurde die Reiterei als typisch kapitalistische Sportart sehr stiefmütterlich behandelt.

                                      Entsprechend ihrem späten Zuchteinsatz sind auch nur zwei Töchter von Grenzmark verzeichnet, nämlich Grandel und eben Grenzmaid. Während Grandel (v. Greif) als Reitpferd ihre Bewegungsstärke unter Beweis stellte und sowohl im Springen als auch in der Dressur M-Niveau erreichte, blieb Grenzmaid (v. Drusus) im Gestüt und führte ihre Familie fort, besser gesagt durch sie entstand der Stamm eigentlich erst. Er ist auch heute noch existent. Allerdings basiert er hauptsächlich auf Grenzmaids Tochter Grenzdirne II, auf die alle in der jüngeren Vergangenheit aufgefallenen Pferde zurückgehen. Dies gilt sowohl für die Jahrgangssiegerstute des Jahres 2009 Gänseblümchen (v. Gondoliero), die heute in Belgien steht, als auch für die Glücksruf-Trilogie (v. Dramatiker), die entsprechend ihrem springbegabten Vater auch und vor allem selbst am Sprung eine gute Figur abgeben. Auch Gänseblümchen zeigt eine gute Hinterhandmechanik, doch wird ihre Abstammung in den ersten Generationen von dressurbetonten Hengsten dominiert, während die Glücksruf-Brüder mit Dramatiker und dem MMv Trafaret in erster Linie auf springbegabte Hengste zurückgehen.


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                                      • friesian
                                        • 30.04.2008
                                        • 345

                                        #59
                                        Vielen Dank für die Zusammenstellung!

                                        Kommentar

                                        • Darling
                                          • 03.05.2011
                                          • 9

                                          #60
                                          Hallo,

                                          ich suche Informationen über die Stutenfamilie der Perlmuschel. Kann mir hierbei einer von euch helfen?

                                          Besten Dank im Voraus und liebe Grüße

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