Hier ein Artikel aus der App der Süddeutschen Zeitung:
Springreiten
Ausverkauft
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Von Laura Hertreiter
Ein halbes Jahr nach einem geheimen Treffen im Hotel: Meredith Michaels-Beerbaum, die jetzt nur noch in der zweiten Liga reitet, steht mit zusammengekniffenen Augen an einem Reitplatz in Hamburg, die weiße Hose in schwarzen Lederstiefeln, das blonde Haar unter einer Kappe. Lautsprecherstimmen, in regenfeuchter Luft mischt sich Pferdeschweiß mit Bratwurstschwaden. Der Blick der Reiterin folgt der erdbraunen Stute, die bis vor Kurzem ihr bestes Pferd war: Bella Donna.
Jetzt - seit dem geheimen Treffen im Hotel - lenkt sie ein großer Mann aus Katar, der in wenigen Wochen 19 Jahre alt wird, auf ein Hindernis zu. Weiße Hose, weinrotes Sakko, die Unterlippe zwischen den Schneidezähnen. Meredith Michaels-Beerbaum verschränkt die Arme.
Jahrelang war die kleine blonde Frau auf der großen Stute überall auf der Welt erfolgreich durch die Parcours geritten. Nach der Geburt ihrer Tochter hatte sie begonnen, Bella Donna zu trainieren. Ein Ausnahmepferd, das gewaltig springen kann, mutig und gelassen. Meredith Michaels-Beerbaums Tochter war noch nicht im Kindergarten, da qualifizierte sich die Mutter mit Bella Donna für die Olympischen Spiele in London. Weltcup-Finale in Schweden, Sieg beim Thermal Grand Prix in Florida.
Der Reiterin, 44 Jahre alt, hatten die gemeinsamen Erfolge einen Platz im Championatskader gesichert - der ersten Riege im Springsport. Dem Pferd, inzwischen zwölf Jahre alt, folgen mehr als 5000 Facebook-Fans, es gewann 420 000 Euro Preisgeld allein im Jahr 2013. Kein zweites Pferd in Deutschland gewann so viel. "Nullrundenpferd" schrieb die Presse, weil eigentlich immer genug Luft zwischen Huf und Hindernis blieb, meist null Strafpunkte auf den Anzeigentafeln leuchteten. Bella Donna galt als die große Hoffnung für den deutschen Springsport, als unverkäuflich. Denn in ihren Papieren waren neben Michaels-Beerbaum die Mäzene, eine Unternehmerfamilie aus den USA, mit einer Firma als Besitzer eingetragen. Die beiden Töchter der Familie reiten selbst. Ursprünglich sollte eine von ihnen Bella Donna in ein paar Jahren von Meredith Michaels-Beerbaum übernehmen.
Ende 2013, an einem kalten Tag, erschienen zwei Gesandte aus Katar zum Geheimtreffen
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Wäre nicht das große Geld aus Katar dazwischengekommen.
Dass sich Meredith Michaels-Beerbaum, Welt- und mehrfache Europameisterin, von ihrem besten Pferd trennen würde, hat sich also an einem kalten Tag am Jahresende 2013 abgezeichnet. Da empfing sie gemeinsam mit ihrem Mann zwei Gesandte aus Katar im Hotel. Alles, wie gesagt, sehr geheim. Kurz vorher hatte ein Milliardär aus der Ukraine öffentlich fünf Millionen Euro für Bella Donna geboten. Zu wenig. Diesen Fehler machten die Interessenten aus Katar nicht. In gummiweichem Englisch warfen sie jetzt mal andere Summen über den Tisch.
Wenig später war Bella Donna verkauft. An eine der reichsten Mannschaften im internationalen Wettbewerb, finanziert von der Armee von Katar. Von nun an wird die Holsteiner-Stute aus dem niedersächsischen Thedinghausen die Winter am Persischen Golf verbringen. In klimatisierten Reithallen in Stadiongröße, in Ställen, deren Böden wie Tanzparkett glänzen. Zu Turnieren im Ausland wird sie mit eigenem Flugzeug geflogen, gemeinsam mit den anderen Pferden des Teams. Unter anderem mit einem fuchsfarbenen Wallach aus der Schweiz namens Palloubet D'Halong. Er gilt als das bislang teuerste Springpferd der Welt - mehr als 13 Millionen Euro soll die Armee bezahlt haben.
Bella Donnas Preis wird von Fachleuten auf eine Summe zwischen sechs und acht Millionen geschätzt - für ein Pferd, das ab dem zehnten Lebensjahr mit jeder Saison an Wert verliert, dessen Karriere ein falscher Tritt oder eine Erkrankung jederzeit zerschießen kann.
Für erfolgreiche Pferde aus Deutschland wird gerade so viel Geld ausgegeben wie nie zuvor. Innerhalb weniger Monate wechselten gerade vier der besten deutschen Springpferde in die USA, die Ukraine und nach Katar, und dies alles im Jahr der Weltreiterspiele, bei denen es Ende August in Frankreich um die deutsche Titelverteidigung gehen wird. Bundestrainer Otto Becker klagt: "So etwas hat es noch nie gegeben." Und: "Jetzt wird es knapp."
Wenige Monate vor Bella Donnas Verkauf hatte er betont, dass er die Stute auf keinen Fall verlieren wolle. Ginge sie in ein anderes Land, wären die deutschen Springreiter deutlich geschwächt. Nach dem Verkauf hat er Meredith Michaels-Beerbaum aus seiner Liste der WM-Kandidaten gestrichen. Sie wurde in den B-Kader herabgestuft. Ihre beiden anderen Turnierpferde sind noch nicht auf Topniveau. Ausdauer und Augenmaß, Konzentration und Kraft, Schnelligkeit und Springvermögen - all das, was sie im Parcours brauchen, ist eine Sache jahrelangen Trainings.
Für den deutschen Reitsport ist der Ausverkauf der Favoriten eine Katastrophe. Züchter und Verkäufer hingegen müssten sich über die neuen Rekordpreise freuen. Oder? Paul Schockemöhle, 69 Jahre alt, kennt beide Seiten. In den Achtzigern zählte er zu den weltbesten Springreitern. Seit Jahrzehnten züchtet und verkauft er Pferde, bis vor Kurzem hat er Reiter aus verschiedenen Ländern trainiert. Ein Anruf auf seinem Hof in Oldenburg.
"Wir haben momentan nur eine Handvoll exzellenter Springer in Deutschland", sagt Schockemöhle. "Wenn das so weitergeht, könnte das Pferdeland Deutschland bald ohne Pferde dastehen."
Schockemöhle hat erlebt, wie immer mehr Interessenten aus immer mehr Ländern auf seine Reitanlage kamen. Sie wollten Pferde, sie wollten Unterricht. Anfang der Neunziger stand er wegen seiner Trainingsmethode in der Kritik. Er schlug den Pferden beim Sprung über ein Hindernis mit einer Holzstange gegen die Beine, damit sie beim nächsten Mal höher abspringen. In Zeiten, in denen immer mehr Turniere immer mehr Preisgeld verhießen, verbreitete sich die schmerzhafte, aber effektive Methode rasch.
Als Bella Donna zum ersten Mal sprang, fühlte sich der Sattel für den Jungen an wie ein Katapult
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Springreiten
Ausverkauft
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Von Laura Hertreiter
Ein halbes Jahr nach einem geheimen Treffen im Hotel: Meredith Michaels-Beerbaum, die jetzt nur noch in der zweiten Liga reitet, steht mit zusammengekniffenen Augen an einem Reitplatz in Hamburg, die weiße Hose in schwarzen Lederstiefeln, das blonde Haar unter einer Kappe. Lautsprecherstimmen, in regenfeuchter Luft mischt sich Pferdeschweiß mit Bratwurstschwaden. Der Blick der Reiterin folgt der erdbraunen Stute, die bis vor Kurzem ihr bestes Pferd war: Bella Donna.
Jetzt - seit dem geheimen Treffen im Hotel - lenkt sie ein großer Mann aus Katar, der in wenigen Wochen 19 Jahre alt wird, auf ein Hindernis zu. Weiße Hose, weinrotes Sakko, die Unterlippe zwischen den Schneidezähnen. Meredith Michaels-Beerbaum verschränkt die Arme.
Jahrelang war die kleine blonde Frau auf der großen Stute überall auf der Welt erfolgreich durch die Parcours geritten. Nach der Geburt ihrer Tochter hatte sie begonnen, Bella Donna zu trainieren. Ein Ausnahmepferd, das gewaltig springen kann, mutig und gelassen. Meredith Michaels-Beerbaums Tochter war noch nicht im Kindergarten, da qualifizierte sich die Mutter mit Bella Donna für die Olympischen Spiele in London. Weltcup-Finale in Schweden, Sieg beim Thermal Grand Prix in Florida.
Der Reiterin, 44 Jahre alt, hatten die gemeinsamen Erfolge einen Platz im Championatskader gesichert - der ersten Riege im Springsport. Dem Pferd, inzwischen zwölf Jahre alt, folgen mehr als 5000 Facebook-Fans, es gewann 420 000 Euro Preisgeld allein im Jahr 2013. Kein zweites Pferd in Deutschland gewann so viel. "Nullrundenpferd" schrieb die Presse, weil eigentlich immer genug Luft zwischen Huf und Hindernis blieb, meist null Strafpunkte auf den Anzeigentafeln leuchteten. Bella Donna galt als die große Hoffnung für den deutschen Springsport, als unverkäuflich. Denn in ihren Papieren waren neben Michaels-Beerbaum die Mäzene, eine Unternehmerfamilie aus den USA, mit einer Firma als Besitzer eingetragen. Die beiden Töchter der Familie reiten selbst. Ursprünglich sollte eine von ihnen Bella Donna in ein paar Jahren von Meredith Michaels-Beerbaum übernehmen.
Ende 2013, an einem kalten Tag, erschienen zwei Gesandte aus Katar zum Geheimtreffen
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Wäre nicht das große Geld aus Katar dazwischengekommen.
Dass sich Meredith Michaels-Beerbaum, Welt- und mehrfache Europameisterin, von ihrem besten Pferd trennen würde, hat sich also an einem kalten Tag am Jahresende 2013 abgezeichnet. Da empfing sie gemeinsam mit ihrem Mann zwei Gesandte aus Katar im Hotel. Alles, wie gesagt, sehr geheim. Kurz vorher hatte ein Milliardär aus der Ukraine öffentlich fünf Millionen Euro für Bella Donna geboten. Zu wenig. Diesen Fehler machten die Interessenten aus Katar nicht. In gummiweichem Englisch warfen sie jetzt mal andere Summen über den Tisch.
Wenig später war Bella Donna verkauft. An eine der reichsten Mannschaften im internationalen Wettbewerb, finanziert von der Armee von Katar. Von nun an wird die Holsteiner-Stute aus dem niedersächsischen Thedinghausen die Winter am Persischen Golf verbringen. In klimatisierten Reithallen in Stadiongröße, in Ställen, deren Böden wie Tanzparkett glänzen. Zu Turnieren im Ausland wird sie mit eigenem Flugzeug geflogen, gemeinsam mit den anderen Pferden des Teams. Unter anderem mit einem fuchsfarbenen Wallach aus der Schweiz namens Palloubet D'Halong. Er gilt als das bislang teuerste Springpferd der Welt - mehr als 13 Millionen Euro soll die Armee bezahlt haben.
Bella Donnas Preis wird von Fachleuten auf eine Summe zwischen sechs und acht Millionen geschätzt - für ein Pferd, das ab dem zehnten Lebensjahr mit jeder Saison an Wert verliert, dessen Karriere ein falscher Tritt oder eine Erkrankung jederzeit zerschießen kann.
Für erfolgreiche Pferde aus Deutschland wird gerade so viel Geld ausgegeben wie nie zuvor. Innerhalb weniger Monate wechselten gerade vier der besten deutschen Springpferde in die USA, die Ukraine und nach Katar, und dies alles im Jahr der Weltreiterspiele, bei denen es Ende August in Frankreich um die deutsche Titelverteidigung gehen wird. Bundestrainer Otto Becker klagt: "So etwas hat es noch nie gegeben." Und: "Jetzt wird es knapp."
Wenige Monate vor Bella Donnas Verkauf hatte er betont, dass er die Stute auf keinen Fall verlieren wolle. Ginge sie in ein anderes Land, wären die deutschen Springreiter deutlich geschwächt. Nach dem Verkauf hat er Meredith Michaels-Beerbaum aus seiner Liste der WM-Kandidaten gestrichen. Sie wurde in den B-Kader herabgestuft. Ihre beiden anderen Turnierpferde sind noch nicht auf Topniveau. Ausdauer und Augenmaß, Konzentration und Kraft, Schnelligkeit und Springvermögen - all das, was sie im Parcours brauchen, ist eine Sache jahrelangen Trainings.
Für den deutschen Reitsport ist der Ausverkauf der Favoriten eine Katastrophe. Züchter und Verkäufer hingegen müssten sich über die neuen Rekordpreise freuen. Oder? Paul Schockemöhle, 69 Jahre alt, kennt beide Seiten. In den Achtzigern zählte er zu den weltbesten Springreitern. Seit Jahrzehnten züchtet und verkauft er Pferde, bis vor Kurzem hat er Reiter aus verschiedenen Ländern trainiert. Ein Anruf auf seinem Hof in Oldenburg.
"Wir haben momentan nur eine Handvoll exzellenter Springer in Deutschland", sagt Schockemöhle. "Wenn das so weitergeht, könnte das Pferdeland Deutschland bald ohne Pferde dastehen."
Schockemöhle hat erlebt, wie immer mehr Interessenten aus immer mehr Ländern auf seine Reitanlage kamen. Sie wollten Pferde, sie wollten Unterricht. Anfang der Neunziger stand er wegen seiner Trainingsmethode in der Kritik. Er schlug den Pferden beim Sprung über ein Hindernis mit einer Holzstange gegen die Beine, damit sie beim nächsten Mal höher abspringen. In Zeiten, in denen immer mehr Turniere immer mehr Preisgeld verhießen, verbreitete sich die schmerzhafte, aber effektive Methode rasch.
Als Bella Donna zum ersten Mal sprang, fühlte sich der Sattel für den Jungen an wie ein Katapult
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